„Es handelt sich nicht um kleine Fische“

■ Der Strafrechtler Kai Ambos äußert sich zu dem Vorgehen der Nato-Spezialtruppen in Bosnien und den angeblichen Geheimlisten mit mutmaßlichen Kriegsverbrechern

Kai Ambos ist wissenschaftlicher Referent für Internationales Strafrecht und Hispano-Amerika am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg.

taz: Am Donnerstag haben die SFOR-Truppen in Bosnien erstmals eine gezielte militärische Aktion durchgeführt, um mutmaßliche Kriegsverbrecher zu verhaften. Bislang hieß es immer, daß die SFOR laut Mandat nur dazu befugt ist, diese Personen zu verhaften, wenn sie zufällig auf sie stößt. Ist der Einsatz vom Donnerstag eigentlich juristisch gedeckt?

Ambos: Eine Rechtsgrundlage für einen Eingriff, wie wir ihn am Donnerstag erlebt haben, kann man insbesondere aus dem Dayton-Abkommen herleiten. Dort ist festgelegt, daß die Vertragsstaaten, die Staaten des ehemaligen Jugoslawien, sowohl bei den Ermittlungen wie auch bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen und anderen Verletzungen des humanitären Völkerrechts kooperieren müssen. Das heißt, sie müssen dem Tribunal die Kriegsverbrecher überstellen, sobald ein Haftbefehl vom Tribunal vorliegt. Zur Durchsetzung dieser Verpflichtung ist die Ifor bzw. SFOR laut Abkommen berechtigt, Zwangsmaßnahmen durchzuführen. Das beinhaltet auch die Möglichkeit, angeklagte Kriegsverbrecher, wenn nötig gewaltsam, festzunehmen. Übrigens hat der in Den Haag zuständige Richter Claude Jorda im vergangenen Jahr verfügt, daß Kopien aller Anklagen und Haftbefehle der Ifor beziehungsweise SFOR übermittelt werden sollten.

Und deshalb muß man sagen: Das Mandat ergibt sich aus dem Dayton-Abkommen. Letztendlich basiert doch die Besetzung eines Landes durch fremde Truppen und deren Vorgehen gegen nationale Staatsangehörige wegen Verbrechen auf einem freiwilligen Souveränitätsverzicht der betreffenden Staaten, das heißt in diesem Fall eben auf dem Vertrag von Dayton.

Nach vorliegenden Informationen richtete sich die Aktion vom Donnerstag gegen zwei Personen, die nicht auf der Liste der offiziellen Kriegsverbrecher stehen. Es ist von „Geheimlisten“ die Rede. Entspricht das einem rechtsstaatlichen Procedere?

Es gibt keine Geheimlisten, das ist eine journalistische Ente. Es gibt ein ganz normales Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft leitet. Das ist ganz klar geregelt nach der Satzung und den Verfahrensregeln des Den Haager Tribunals. Im Rahmen dieses Verfahrens wird Beweismaterial gesammelt und dann gegen die verdächtige Person ein Haftbefehl beantragt, wenn ein ausreichender Tatverdacht existiert. Der Haftbefehl muß vom Gericht gebilligt werden. Dieser Haftbefehl muß im Falle der beiden Personen am Donnerstag bestanden haben. Die neue Strategie besteht darin, daß diese Haftbefehle geheimgehalten werden. Das passiert deshalb, damit die Leute nicht schon vorher aufgeschreckt werden und sich verstecken.

Das Den Haager Tribunal hat schon zwei Angeklagte verurteilt. Einige Verfahren sind noch anhängig. Die Hauptschuldigen wie Mladić und Karadžić aber laufen immer noch frei herum. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Aktion vom Donnerstag?

Bereits vor zwei Wochen fand die Festnahme eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers, des Ex-Bürgermeisters von Vukovar, Dokmanović, auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien statt. Das Besondere an der Aktion vom Donnerstag ist aber, daß man relativ aufwendig mit einer militärischen Operation vorgegangen ist. Insofern hat das eine neue Qualität. Falsch hingegen ist das Argument, es handele sich nur um kleine Fische. Denn gerade die Verfahren gegen diese Leute bringen den Willen der Staatengemeinschaft zum Ausdruck, die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien nicht ungesühnt zu lassen. Und wenn man noch nicht an Mladić und Karadžić herangekommen ist, heißt das ja noch nicht, daß man nichts macht und sich ausruht. Interview: Barbara Oertel