Press-Schlag
: Fußball-Absurdistan

■ Werder Bremen liefert weiter schlechte Spiele, aber alle gucken zu

„Das soll mir mal einer erklären! Da spielen die zwei Jahre lang einen grausamen Scheiß zusammen – verkaufen aber Dauerkarten, als seien sie Meister.“ Der vierschrötige Mann mit dem grün-weißen Mützchen will sich, ganz unhanseatisch, gar nicht wieder einkriegen. Und ist doch mittendrin im Werder-Theater. „Die“ versuchen gerade im dritten Jahr nach Otto, an die alten Erfolge anzuknüpfen. Und „er“ sitzt auf der Tribüne. „Die“ kommen wieder mal in einem grauslig sturmschwachen UI-Cup-Spiel gegen Istanbulspor über ein 0:0 nicht heraus. Und „er“ geht trotzdem hin. Wie so viele. „Das soll mir mal einer erklären!“

Fußball-Absurdistan liegt an der Weser: Platz neun in der abgelaufenen Saison, Pfeifkonzerte und „Dörner raus!“-Rufe. Personelle Zugänge, die in der Stadt eher als Vorboten dafür gelten, daß es auch weiterhin bestenfalls fußballerisches Mittelmaß zu sehen geben wird – und der Verein steht vor einem neuen Dauerkarten-Rekord. Ganz so, als sei der ins Trudeln geratene Klub die letzte Hoffnungsbastion in einer niedergehenden Stadt. Trotz der Rekordarbeitslosigkeit, trotz der horrenden Schulden, trotz der Sparorgien der öffentlichen Hand. Die Wochenendhoffnung bei Wochentagshoffnungslosigkeit. Der Rausch, den der Ruhrpott gerade erlebt, den hat Bremen hinter sich – und wünscht sich nichts sehnsuchtsvoller als seine Rückkehr. Ehe der letzte Rest Leben in der Dauerdepression versackt.

Dabei kann von Fußballrausch beim grundmauligen Bremer Publikum überhaupt keine Rede sein. Nach zwei Jahren Magerkost sind selbst die hartgesottensten Fans vorsichtig geworden: Abwarten, ob die Mannschaft nach den Turbulenzen der vergangenen beiden Jahre zur Ruhe kommt. Abwarten, ob Trainer Dörner endlich eine Stammformation gefunden hat, und ein taktisches Korsett, in dem sich die Spieler zurechtfinden können. Abwarten, ob Dörner den Werder-Knoten zum Platzen bringt, bevor die Rufe nach einem Trainerwechsel wieder lauter werden.

Darum setzt Dörner jetzt auf Stabilität. Da kann die Werderaner Ein-Mann-Kreativabteilung Herzog noch so lautstark Verstärkung im Offensivbereich anmahnen. Gekommen ist statt dessen der Manndecker Sven Benken von den Pokalhelden aus Cottbus. Der sieht nicht nur so furchterregend aus wie Uli Borowka, er spielt auch so. Gekommen ist Dieter Frey aus Freiburg. Gekommen ist der rustikale Ex-60er-Libero Bernhard Trares, das neue Herzstück der Bremer Defensivreihe. Und gekommen ist Raphael Wicky, 20jähriger Jungnationalspieler vom Schweizer Meister und Pokalsieger FC Sion. Auch nicht gerade einer für den satten Torschuß, aber jung, dynamisch, hochtalentiert und technisch beschlagen. Vage Hoffnung: Das könnte was werden.

„Der Umbruch ist abgeschlossen“, sagt Trainer Dörner, selbst wenn er noch auf der Suche nach einem Goalgetter ist. Heißt aber auch: Die Zeit der Ausreden ist vorbei. Was den Hunger beim Bremer Publikum, siehe oben, wieder weckt. Wie beim Mann mit dem grün- weißen Mützchen. Ob er denn eine Dauerkarte für die nächste Saison gekauft hat. „Jaa, na ja, vielleicht wird's ja doch was.“ Typisch. Werner Baßler