Ein bißchen Bronx und ein Hauch von Jamaika

■ Die DJs des Berliner YAAM-Clubs machten ihre eigene, relaxte Megaparty

Nicht Techno, sondern ein lautes Krachen dröhnt um halb zwölf nachts aus einer der leerstehenden Industriehallen im Berliner Bezirk Kreuzberg. Als würden zehn Leute gleichzeitig eine Eisenstange über den Betonboden schleifen und dann auf eine Batterie von Bierkästen eindreschen. Dschrr...krawumm! Der HipHop- Beat, der draußen auf dem Hof von einem Truck wummert, wird davon bei weitem übertönt.

Aber dieser Sound kommt nicht etwa aus einer der Boxen, sondern wird von den Rollen eines guten Dutzends Skater verursacht. Mit voller Wucht preschen sie in Rampen und Pipes, werden bis zu zwei Meter in die Luft katapultiert, um dann mit enormem Krachen wieder auf den Boden zu schlagen. „Highest Air“ heißt die Übung, denn für die Profis ist „das Rollen nur noch die kürzeste Verbindung zwischen den Flügen“.

„DJ-Culture“ – so lautet das Programm des dreitägigen Festivals des YAAM-Clubs. Das ist nicht nur Musik. Das Industriegelände an der Spree in Kreuzberg haben die Veranstalter in einen Straßenzug der Bronx verwandelt. Oder besser: wie sie in den 70er Jahren wohl einmal ausgesehen haben muß. Trillerpfeifen und grinsend zappelnde Raver in hautengen Sunshine-T-Shirts auf hohen Plateausohlen sucht man hier vergebens. Die Kleidung der Besucher ist auf eine andere Art „cool“, nämlich sportlich. Man muß sich ja bewegen können. In extraweiten Shorts sausen BMX-Radler durch die riesige Halfpipe, die auf dem Hof aufgebaut ist. Die B-Boys, so der Fachjargon für die Breakdancer und Moonwalker, winden sich angefeuert vom HipHop-Truck mit dem Hinterkopf auf dem Boden und den Beinen in der Luft in Trainingsanzug und Wollmütze.

DJ Reaf, ein pummeliger Bursche Anfang 20 mit viel zu großen Hosen, steht derweil an seinem Mischpult in einer zweiten Halle und kämpft gegen einen Nervenzusammenbruch. Von den 72 Nachwuchs-DJs, die er für das dreitägige Festival engagiert hat, hat ihn heute die Hälfte hängenlassen. Am Nachmittag mußten seine Turntables deshalb für einige Stunden stillstehen. Und jetzt wieder ein Engpaß. „Die sind von der Love Parade nicht wiedergekommen“, mault der HipHop-DJ. „Wie kann man sich so eine Chance bloß entgehen lassen!“

Daß seine Halle leer ist, liegt nicht nur am Personalmangel. „Die Leute wollen natürlich lieber draußen feiern.“ Die meisten der rund 2.000 Zuschauer amüsieren sich in der Tat an den vielen anderen Schauplätzen auf dem großen Freigelände. Zwischen den rund 30 Freß- und Bierständen, am Headshop und den Sport-Areas, riecht es nach Curry-Chicken, Rostbratwurst, Soulfood und der Farbe der Sprayer. Reaf und die meisten seiner Kollegen vom YAAM haben die Love Parade, wie sie betonen, „nur so am Rande mitbekommen“. Das heißt, sie sind natürlich mal kurz Gucken gegangen – ansonsten ist die Parade für sie lediglich der Anlaß für ihre eigene Mega-Party. „Wir repräsentieren nicht nur Techno, sondern die gesamte Straßenkultur der DJs.“

Doch über aller Geschäftigkeit schwebt ein Hauch jamaikanischer Trägheit: An dem provisorischen Strand mit seinem eigens ans Spreeufer gekarrten Sand ist vor allem Relaxing angesagt. Das Output der drei verschiedenen Soundsystems kommt nur in gedämpfter Form an. Ganz im Sinne der Love Parade wird hier geknutscht oder ganz entspannt ein Pfeifchen geraucht. Kirsten Niemann