Kultur und Mückenstiche

Alle Sommer wieder erliegt die Stadt der Faszination ihrer Freilichtbühnen. Die Open-air-Gemeinde wächst, die Konkurrenz der Bühnen ebenso  ■ Von Kathi Seefeld

Es ist immer dasselbe. Der Schlüsselsatz des Films geht im Rotorenlärm eines aufsteigenden Rettungshubschraubers vom nahe liegenden Krankenhaus verloren. Wenn's dann besonders spannend wird, setzt sich irgendeine Popcorntüte neben dich. Und in dem Moment, wo sie ihm sagt, daß sie ihn nie geliebt hat, sticht dir eine Mücke ins linke Wadenbein.

Kino in der Freilichtbühne ist anders als im Filmtheater. Hier hinterlassen umgestoßene Bierbecher keine Pfützen, hier regt sich niemand auf, wenn du neben ihm die Butterstulle auspackst. Hier ist wirklich fast egal, was läuft oder gespielt wird. Es soll Leute geben, die schrecken auch bei Gewittergüssen nicht davor zurück. „Ich schaue mir alles an, egal was gespielt wird“, sagt die Knabbertüte: Hauptsache Kultur unter freiem Himmel, ob Musik oder Theater, ob Klassik oder Pop.

Jedes Jahr im Sommer schlägt die Glanzstunde der Berliner Freilichtbühnen, und ihre Fangemeinde wächst. Die Diva, die größte und zweifellos geschichtsträchtigste Arena der Stadt ist die Charlottenburger Waldbühne. In zweijähriger Bauzeit war das Freilichttheater nach antikem Vorbild, Hitlers Wunsch und den Plänen von Werner March anläßlich der Olympischen Spiele 1936 angelegt worden. Als Muskelspielstätte erlebte sie nach dem Krieg ihre Sternstunden. Drei Boxveranstaltungen allein im Jahre 1947 brachten bei Eintrittsgeldern zwischen 5 und 80 Mark zirka eine dreiviertel Million Mark an Mieten und Steuergeldern in das Haushaltssäckel.

Darüber hinaus konnte sich die Waldbühne als größtes Kino der Welt unter freiem Himmel präsentieren. 1961, die Spielstätte mit den 88 Stufen war inzwischen im Besitz der Bundesrepublik und der Senat trat als Nutzer auf, wurde die alte Projektionswand herausgerissen und durch eine 28 mal 14 Meter große, neue, transportable Leinwand ersetzt. Am 15. September 1965 ging die Waldbühne bei der „Satisfaction“ von 20.000 Jugendlichen in die Brüche. Das Konzert der Rolling Stones und der entstandene Sachschaden von knapp 300.000 Mark wirkten zwölf Jahre nach. Die Arena war zwar 1969 wieder renoviert worden, blieb aber ungenutzt.

Erst 1977 durften sich, wie es damals hieß, erneut „internationale Popgruppen in der 22.000 Besucher fassenden Arena ein Stelldichein geben“. Der Hamburger Veranstalter Sunrise war es, der der Freilichtbühne wieder Leben einhauchte. Uriah Heep, Small Faces und Manfred Mann's Earthband durften auftreten. Und siehe da: Der „Rockfreund“ zahlte seine 25 Mark an der Tageskasse mit wachsender Begeisterung.

Dennoch dümpelte das heutige Mekka Tausender Kulturausflügler weiter vor sich hin. Eine Veranstaltung kostete allein vom Bühnenaufbau her 30.000 Mark. Wer etwas losmachen wollte, mußte eine Festmiete von 10.000 Mark berappen. 1981 trat mit concert concept ein Veranstalter „mit Hang zu Großprojekten“ auf den Plan, der sich die Misere zunutze zu machen wußte. Peter Schwenkow und Jochen Zanke verhandelten ein Jahr lang mit dem Senat. Fortan richtet sich die Miete nach den Besucherzahlen, die Bühnenfläche wurde – vorfinanziert von der Stadt – überdacht. Im Jahr 1986 verkündete Schwenkow, daß er ohne eine Mark öffentliche Unterstützung auskäme. „Die Kosten von 450.000 Mark sind eingespielt.“ Von 1987 an durfte sich die Waldbühne getrost auch wieder „größtes Freilichtkino der Welt“ nennen.

Probleme gab es dennoch zuhauf. Schon als im August 1981 erstmals „ein öffentlich-rechtlicher Rundfunksender mit einem kommerziellen Veranstalter“, so die Berliner Morgenpost, ein Freiluftkonzert mit Spliff, Ideal und Interzone auf die Beine stellte, mußten Umweltschützer nachts um zwei anrücken und den Bands den Saft abdrehen. Was in der Stadt gemeinhin als „Bereicherung des kulturellen Treibens“ gewertet wurde, entpuppte sich in den Ohren Ruhlebener Bürger als unzumutbare Belästigung. „25 Tieflader mit einem Gewicht von über 25 Tonnen sind beim Tina-Turner- Konzert hier durchgerauscht“, klagten die Anwohner. Doch erst Jahre später, ab 1994, konnten sie während der Waldbühnen-Saison wieder ruhiger schlafen. Straßen wurden weiträumig gesperrt, Sonderbusse der BVG eingesetzt. Lärmbelästigung und Ruhestörung von Anwohnern – ein Problem zumindest, mit dem das zweite große Amphitheater Berlins nie zu kämpfen hatte. Die vor 46 Jahren anläßlich der III. Internationalen Weltfestspiele der Jugend und Studenten als Teil des Pionierparks „Ernst Thälmann“ und heutigen FEZ errichtete Freilichtbühne Wuhlheide liegt mitten im Grünen.

Der Wettstreit zwischen Wuhlheide und Waldbühne

Heftigen Gewittergüssen trotzend meldete sie sich nach neunmonatiger Umbauzeit am 13. Juni dieses Jahres in neuem Outfit zurück. „Jetzt hat die Waldbühne endlich Konkurrenz bekommen“, freute sich der Köpenicker Kulturstadtrat Dirk Retzlaff.

Schwenkow selbst hatte 1992 kein Hehl daraus gemacht, daß ihn die östliche große Freiluftspielstätte durchaus sehr reize. Sein exklusiver Mietvertrag mit der Waldbühne drohte damals auszulaufen und die aus ihrem Dornröschenschlaf nach der Wende wachgeküßte Wuhlebühne, wo sich noch vier Veranstalter zwölf Konzerttermine teilten, sorgte mit ausverkauften Rängen für Furore. Doch Schwenkow blieb die Waldbühne erhalten. Betreiber der neuerstandenen Parkbühne wurden Matthias Hoffmann und Norbert Döpp von der Agentur Downtown, die sich zur Wuhlheide Veranstaltungs GmbH zusammenschlossen – und ebenfalls Ambitionen in Richtung Waldbühne hegten. Downtown klagte damals beim Landgericht wegen der Ausschreibungsmodalitäten, die faktisch einen erneuten Zuschlag für Schwenkow schon beinhalteten. Die Sache endete mit einem Vergleich. Downtown durfte sich, nachdem Schwenkows concert concept 1995 – nunmehr ohne Ausschreibung – erneut den Zuschlag für die Waldbühne bekam, mit der Parkbühne in der Wuhlheide mehr als trösten.

Bauherr Hoffmann investierte 7,5 Millionen, fast doppelt soviel, wie anfangs geplant waren. Entstanden ist eine der modernsten Open-air-Arenen des Landes. Platz für 17.000 Zuschauer, 12.500 auf den Rängen, 4.500 im Innenraum. Die Besucher des ersten Konzertwochenendes gaben sich begeistert. Die Ränge sind komplett saniert worden, eine Zufahrtstraße wurde gebaut. 22,50 Meter breit ist die Bühne, 15,80 tief und 9,50 hoch. Zehn neue Cateringstände und drei Toilettenanlagen sind errichtet worden. Selbst auf eine Stargarderobe mit einem 26 m2 großen Wohnraum, Dusche und WC wurde nicht verzichtet.

Beim „Wuhlrock 97“-Auftakt mit Rammstein, Philipp Boa und anderen ging erstmals so richtig die Post ab. „Die Plätze waren ausverkauft, und wir durften schon mal die Grenzen unserer Kapazität spüren“, resümierte Leonila Schneider von der Wuhlheide Veranstaltungs GmbH. Und wenn Monserrat Caballe am 24. August ihren Resonanzraum beben läßt, wird sie dies garantiert auch nicht vor leeren Rängen tun. Als Konkurrenten zur Waldbühne sehen sich die Betreiber der Wuhlebühne selbst jedoch nicht. „Es gibt nun mal Veranstaltungen, die mehr als 17.000 Besucher anlocken, und da können wir dann doch nicht mitreden“, so Leonila Schneider.

Die kleinen Bühnen liegen im Schatten der Giganten

Berlin im Freiluftfieber, selbst der Tierpark in Friedrichsfelde verfügt über eine kleine Open-air-Bühne, die 1990 extra für das Sommerprogramm und die alljährlichen Tierparkfestwochen Ende August errichtet wurde, und dennoch werden Ränge abgebaut. So manchem bezirklichen Amphitheater drohen Schicksale, wie sie schon Jahre und Jahrzehnte zuvor das Naturtheater Friedrichshagen in Köpenick, das über 1.000 Plätze verfügte, oder die Freilichtbühne auf der Marienhöhe in Tempelhof ereilten. Sie wurden eingeebnet und in Tennisplätze oder Grünanlagen umgewandelt. Anfang des Jahres starb die im Bundesbesitz befindliche, zu DDR-Zeiten in Bürgerinitiative entstandene Freilichtbühne am Torweg Weststaaken, die nach der Vereinigung in den Bezirk Spandau zurückgemeindet worden war. Der Bezirk habe bereits damit zu kämpfen, seine Arena an der Zitadelle am Leben zu erhalten, hieß es neben vielen anderen Begründungen. Denn auch die traditionsreiche Bühne aus dem Jahre 1921 mit nur 600 Plätzen, die nach Plänen des Spandauer Theaterdirektors Otto de Nolte errichtet wurde, bangt alle Sommer wieder um ihren Fortbestand.

Die Parkbühne des Marzahner Schloßparks in Biesdorf gammelt vor sich hin, weil, nachdem Jugendliche die Überdachung ramponiert hatten, kein Geld für die Reparaturen zur Verfügung gestellt werden konnte. Für die Charlottenburger Gustav-Böß-Freilichtbühne in der Jungfernheide, angelegt im Jahre 1924, droht jetzt die Schließung, weil das Totholz in den Kronen der 20 Meter hohen Buchen rund um die Tribüne herabzustürzen drohte, das Naturschutz- und Grünflächenamt jedoch über keine Mittel verfügte, eine Firma mit der Beschneidung der Bäume zu beauftragen.

Probleme auch in der Weddinger Freilichtbühne Rehberge. Hier war im Vorjahr alles kurz und klein geschlagen worden. Geld für die Instandsetzung ist keines vorhanden. Auch inhaltlich geraten die kleinen Freiluftarenen immer mehr ins Hintertreffen. Lediglich mit viel Kino halten sich die Bühnen unbeeindruckt von der Wetterlage über Wasser. So auch in Neukölln, im Naturtheater Hasenheide mit etwa 900 Plätzen. Hier lief anläßlich der Love Parade die Raver-Dokumentation„ Wasted! Im Hof des Bethanien“, im Freiluftkino Kreuzberg lockt neben Kassenfüllern das Europäische Fernsehfestival Televisionen unter anderem mit noch nicht Gezeigtem von Monty Python. „Die Haushaltslage läßt eine umfangreiche Veranstaltungstätigkeit nicht mehr zu“, klagt auch der Mitarbeiter des Friedrichshainer Kulturamts, Bernd Klatetzki. Für die ursprünglich geplante grundlegende Sanierung der auf Kriegsschutt im Volkspark Friedrichshain errichteten kleinen Arena mit 2.000 Plätzen sind keine Gelder mehr vorhanden. Die Freilichtbühne am Weißen See, mit 3.000 Plätzen drittgrößte Arena der Stadt, hatte da mehr Glück. Die 1956 eingeweihte Bühne war bereits 1993 nach anderthalbjähriger Bauzeit saniert und mit einem eigenwilligen und sehr modernen Bühnendach ausgestattet worden.

„Wir werden weitere der hinteren Bankreihen wegnehmen“, beschreibt Bernd Klatetzki die Zukunftsaussichten für das Friedrichshainer Amphitheater. Dem nahe liegenden Krankenhaus ist dies nur recht. Mit Schrecken erinnere man sich an die „zu DDR- Zeiten dort abgegangenen FDJ- Feten“, erzählt eine Mitarbeiterin. Ein Teil der Patienten sieht das allerdings nicht ganz so eng. Wer schon mal rausgehen darf, freut sich über einen Film oder Theater an frischer Luft und fast vor der Haustür. Am Wochenende tummeln sich zwischen den Rängen, „Friedrichshainer, die keinen Garten haben“, so Klatetzki. Grund genug, die Freiluftspielstätte auch weiter am Leben zu erhalten.