Wo ein Kläger ist, ist auch ein Richter

■ Nach dem „Imbißurteil“ des Landgerichts sitzt den Dönerbuden und Imbissen nun die Konkurrenz im Nacken

Nach dem „Kneipenkrieg“ in Prenzlauer Berg droht der Hauptstadt nun ein „Imbißkrieg“. Grund dafür ist ein Urteil des Landgerichts vom Freitag, das dem Betreiber eines Stehimbisses untersagt, nach 20 Uhr Bier und andere alkoholische Getränke zu verkaufen. Dem Urteil vorausgegangen war die Klage eines benachbarten türkischen Gastronomen, der keine Mühe gescheut hatte, dem mißliebigen Konkurrenten mittels Scheinkäufen auf die Schliche zu kommen. In seinem Urteil betonte der Richter, daß der Imbißbetreiber „außerhalb der gesetzlichen Ladenöffnungszeiten alkoholische Getränke abgegeben“ habe und damit gegen das Ladenschlußgesetz verstoßen habe.

Für die etwa 2.500 Imbisse der Stadt könnte das Urteil freilich weniger wegen seiner juristischen Begründung als vielmehr wegen seiner Signalwirkung schwere Folgen haben. Ohne Toiletten und Sitzgelegenheiten ausgestattet, ist den Dönerbuden und Stehimbissen als Gaststättenbetrieben der Verkauf alkoholischer Getränke in der Tat untersagt. Bier, Wein und Wodka konnten die Betreiber deshalb lediglich in ihrer Tätigkeit als Einzelhändler verkaufen. Der Einzelhandel freilich unterliegt dem Ladenschlußgesetz.

Daß die Praxis der geltenden Rechtslage Hohn spricht, hat seinen Grund bisher vor allem darin, daß die Wirtschaftsämter der Stadt angesichts von 10.000 gastronomischen Betrieben allenfalls Stichprobenkontrollen durchführen können. Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter.

Genau dies könnte sich nach dem Landgerichtsurteil allerdings ändern. Wie der Leiter des Kreuzberger Wirtschaftsamtes, Wittig, sagte, steigt unter den Gastronomen des Bezirks der Aggressionspegel. Aus Mitbewerbern am Markt würden Konkurrenten. Als Grund nannte Wittig, dessen behördlicher Aufsicht in Kreuzberg 1.000 Gaststättenbetriebe unterstehen, die „schlechten wirtschaftlichen Daten“. In der Tat: Allein im vergangenen Jahr gingen die Umsätze im Gaststättengewerbe um fünf bis sieben Prozent zurück, die Fluktuation der Pächter liegt bei 40 Prozent jährlich.

Gleiches beobachtet auch die Pressesprecherin der Hotel- und Gaststätteninnung, Heike Wille. „Steigende Mieten und sinkende Kaufkraft“, so Wille, „sind Dinge, die an die Substanz gehen.“

Zwar befürchten die Handelsrichter am Amtsgericht noch keine Flut an Konkurrentenklagen, doch um die Schankgenehmigungen in den Vorgärten werde bereits um jeden Zentimeter gestritten, wie der Wirtschaftsamtsleiter Wittig weiß. Vom Neid der Konkurrenz besonders bedroht sind dabei die ehemaligen Spätverkaufsstellen im Ostteil der Stadt. Weil sie nach Einführung der neuen Ladenschlußzeiten nach 20 Uhr keinen Alkohol mehr verkaufen dürfen, haben viele von ihnen eine Lizenz als Imbißbetrieb erworben. Schlechte Konjunktur also für den Sixpack nach 20 Uhr – eine um so bessere dagegen für Neider und Scheinkäufer. Uwe Rada