Nigeria spielt Großmacht in Sierra Leone

■ Seeblockade, Drohungen und Aufrüstung: Die westafrikanische Regionalmacht holt zum endgültigen militärischen Schlag gegen Sierra Leones Putschistenjunta aus

Berlin (taz) – Sieben Wochen nach ihrem Putsch gerät die Militärjunta unter Johnny Koroma im westafrikanischen Sierra Leone unter starken internationalen Druck. Heftige Kämpfe zwischen Koromas Armee und nigerianischen Eingreiftruppen in der Nähe des internationalen Flughafens der Hauptstadt Freetown forderten in der Nacht zu gestern etwa 100 Todesopfer, darunter viele Zivilisten. Nigeria hat seit dem Wochenende eine Luft- und Seeblockade gegen Sierra Leone verhängt, um die Militärjunta zum Rücktritt zu zwingen. Benzin und Nahrungsmittel werden bereits knapp, und die Armee hat Tausende zusätzliche Kämpfer in Freetown zusammengezogen, um eine befürchtete Invasion abzuwehren.

Am Freitag war Sierra Leones Mitgliedschaft im Commonwealth suspendiert worden. Zugleich forderte der UN-Sicherheitsrat die „sofortige und bedingungslose Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung“.

Der Freitag war der Stichtag, den ein Sondergipfel der von Nigeria beherrschten westafrikanischen Regionalorganisation Ecowas (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) in Guinea am 27. Juni gesetzt hatte. Auf diesem Gipfel hatte die Ecowas beschlossen, „durch eine Kombination dreier Maßnahmen – Dialog, Sanktionen und Embargo“ die Junta in Sierra Leone zu stürzen und zugleich die Anwendung von Gewalt nicht auszuschließen. Nach zwei Wochen, also am vergangenen Freitag, sollte die Lage erneut überprüft werden.

Soldaten unter Johnny Koroma hatten am 25. Mai in Sierra Leone die gewählte Regierung von Präsident Ahmed Tejan Kabbah gestürzt. Sie haben seither die frühere Rebellenbewegung RUF (Vereinigte Revolutionäre Front), die mit Kabbah 1996 ein Friedensabkommen geschlossen hatte und mit dessen Umsetzung unzufrieden war, in die Regierung aufgenommen. Die Regierungsarmee wurde mit der RUF zu einer „Volksarmee“ zusammengelegt. Nigeria, das sich als Ordnungsmacht in Westafrika begreift und selber von einer Militärjunta regiert wird, brennt seither auf eine Gelegenheit zum Sturz der Junta und zur Wiedereinsetzung von Präsident Kabbah, um damit demokratische Gesinnung unter Beweis zu stellen. Unter nigerianischer Führung stehen Ecowas- Truppen unter anderem auf dem Flughafen von Freetown; ihre Operationen werden von der seit 1990 im benachbarten Liberia stationierten Ecowas-Eingreiftruppe Ecomog geleitet.

Ein erster Versuch Nigerias, die sierraleonische Junta zu stürzen, wurde am 2. Juni nach einem weithin kritisierten Artillerieangriff auf Freetown abgebrochen. Auf dem Ecowas-Gipfel Ende Juni war aber nur noch Ghana gegen eine militärische Intervention in Sierra Leone. Berichten von Hilfsorganisationen zufolge werden die Ecowas-Truppen in Sierra Leone jetzt mit schweren Waffen verstärkt, und am Flughafen von Freetown schützen sie einen Piratensender des gestürzten Präsidenten Kabbah, der letzte Woche die Junta zur Kapitulation aufrief. Versuche der Armee, diesen Sender zu schließen, lösten vor einer Woche bereits Kämpfe mit nigerianischen Truppen und eine Massenflucht verängstigter Zivilisten aus.

Ob eine Ecowas-Militärintervention auf internationale Zustimmung stoßen würde, ist unklar. Diplomaten aus den USA und der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien betonen in ihren Erklärungen immer die Notwendigkeit einer „friedlichen“ Lösung der Krise in Sierra Leone. In seiner Erklärung vom Freitag sprach der UN-Sicherheitsrat seine Unterstützung für die „Ziele“ der Ecowas aus, vermied aber jede Einschätzung der Mittel.

Eine Intervention wird wahrscheinlicher, je mehr Erfolge die Junta unter Koroma gegen ihre inneren Gegner erzielt. Ihre „Volksarmee“ kämpft derzeit ziemlich erfolgreich gegen traditionelle Milizen, genannt Kamajors (Jäger), die dem von Koroma gestürzten Präsidenten Kabbah loyal sind und vor allem die Gegend um Kenema im Südosten Sierra Leones nahe der Grenze zu Liberia beherrschen. Die Kamajors sind mit etwa 35.000 Mann zahlenmäßig viel stärker als die Volksarmee, aber unabhängige Quellen werfen ihnen Greueltaten an Zivilisten vor, zum Beispiel Verstümmelungen von Kindern. An der Straße zwischen Bo und Kenema kam es in den letzten Wochen mehrmals zu heftigen Kämpfen zwischen Kamajors und Volksarmee. Am vergangenen Dienstag meldete die Junta die Einnahme einer Brücke über den Grenzfluß Mano zwischen Sierra Leone und Liberia.

Daß Liberia, wo seit 1990 ein Bürgerkrieg 150.000 Tote gefordert hat, bei den Wirren in Sierra Leone eine Rolle spielt, ist unstrittig – unklar ist, welche. Koromas Junta wirft der nigerianisch dominierten Ecomog-Eingreiftruppe in Liberia vor, die Kamajor-Milizen in Sierra Leone aufzurüsten. Die Gegner Koromas ihrerseits sagen, die Junta sei von Liberianern beherrscht, die dem liberianischen Milizenchef Charles Taylor nahestünden.

Taylor, den Nigeria nicht leiden kann, ist aussichtsreichster Kandidat bei den für den kommenden Samstag geplanten, international überwachten Präsidentschaftswahlen in Liberia, die den Bürgerkrieg dort endgültig beenden sollen. Bei einem Sieg Taylors wären Liberia und Sierra Leone von Gegnern Nigerias beherrscht – ein peinlicher Einflußverlust für das mächtigste Land der Region. Es ist durchaus möglich, daß Nigeria diesem Szenario mit einer Militäraktion in Sierra Leone noch vor den Wahlen in Liberia zuvorkommen will. Dominic Johnson