Chirac pfeift auf die Null

■ Frankreichs Präsident gibt zu: Haushaltsdefizit zu groß für den Euro

Paris (AFP) – Der französische Staatspräsident Jacques Chirac hat zugegeben, daß Frankreich das Drei-Prozent-Defizitkriterium für den Euro klar verpaßt. In einem Fernsehinterview zum gestrigen französischen Nationalfeiertag bezifferte er die Neuverschuldung auf derzeit „etwa 3,5 Prozent“ des Bruttoinlandsprodukts. Erlaubt ist nach der in Deutschland geläufigen strikten Interpretation der Maastrichter Verträge ein Defizit von drei Prozent.

Zugleich machte der gaullistische Staatschef klar, daß sein Land trotz Milliardenloch im Haushalt bei der Einführung der Einheitswährung in eineinhalb Jahren auf jeden Fall dabeisein will. Dies werde möglich sein, wenn die neue Linksregierung unter Premierminister Lionel Jospin auf zusätzliche Ausgaben verzichte und den eingeleiteten Privatisierungskurs fortsetze.

Chirac bezeichnete die Drei- Prozent-Marke als „Kriterium des gesunden Verstandes“. Die Marke sei „die angemessene Prozentzahl im Vergleich zum nationalen Reichtum“, damit Frankreichs Kindern keine Schulden hinterlassen würden. Er äußerte sich überzeugt, daß sowohl die Einhaltung der Kriterien als auch des Terminkalenders gelingen werde. „Wir werden es schaffen.“ Andernfalls drohten „sehr, sehr harte Konsequenzen“. Frankreich könnte in die Isolation geraten. Der neue Premierminister Jospin hatte schon vor dem Regierungswechsel deutlich gemacht, daß er der Bonner Forderung nach einem Defizit von höchstens genau 3,0 Prozent nicht nachkommen will. Der Sozialistenchef läßt derzeit vom französischen Rechnungshof eine Art Kassensturz zum Zustand der Staatsfinanzen machen, die er von der rechtsbürgerlichen Vorgängerregierung übernommen hat. Das Ergebnis soll am nächsten Montag vorliegen. Durch Presseveröffentlichungen wurde bereits bekannt, daß Jospin bei seinem Amtsantritt Anfang Juni von seinem Vorgänger Alain Juppé eine detaillierte Aufstellung über den schlechten Zustand der französischen Staatsfinanzen erhalten hatte.

Im ersten TV-Interview seit der Niederlage des eigenen Lagers bei den vorgezogenen Parlamentswahlen äußerte sich Chirac ausführlich zur neuen Kohabitation. Er hoffe auf eine „konstruktive“ Zusammenarbeit. In mehreren Punkten wurden aber Differenzen deutlich. So verlangte Chirac, daß die eingeleiteten Privatisierungen fortgesetzt werden müßten – die Linksregierung hat alle Entstaatlichungen vorerst gestoppt.

Kritik übte der Präsident auch an der Entscheidung, mehreren zehntausend illegalen Einwanderern eine Aufenthaltserlaubnis zu geben.