Unter israelischer Besatzung galt den Palästinensern im Gaza-Streifen die Meinungsfreiheit stets als ein hohes Gut. Heute reagiert Arafats Autonomiebehörde auf Kritik aus den eigenen Reihen mit harter Hand: Festnahmen aus "Sicherheitsgründe

Unter israelischer Besatzung galt den Palästinensern im Gaza-Streifen die Meinungsfreiheit stets als ein hohes Gut. Heute reagiert Arafats Autonomiebehörde auf Kritik aus den eigenen Reihen mit harter Hand: Festnahmen aus „Sicherheitsgründen“

Knast und Folter in Gaza

Mehr als zwanzigmal haben ihn die israelischen Militärbehörden ins Gefängnis geworfen, einmal sogar, weil er Waffen für die PLO versteckt hatte, wie seine Frau sagt. Jetzt hat ihn auch der lange Arm der palästinensischen Sicherheitsbehörden erreicht. Dr. Fathi Ahmad Subah, Pädagogikprofessor an der al-Ashar-Universität im Gaza-Streifen, befindet sich seit vierzehn Tagen in Haft.

Die Sicherheitsbehörden verweigerten ihm anfänglich den Kontakt zu einem Rechtsanwalt. Besuch von Angehörigen durfte er auch nicht empfangen, weshalb er zwei Tage nach Haftbeginn in einen Hungerstreik trat. Obwohl der Oberste Palästinensische Gerichtshof verfügt hat, daß Gefangene nur acht Tage ohne Anklage festgehalten werden dürfen, ist gegen Subah nach Angaben einer palästinensischen Menschenrechtsgruppe in Gaza eine offizielle Beschuldigung bislang nicht erhoben worden. Allerdings dürfe er inzwischen Besuch empfangen. Amnesty international hat ihn als politischen Gefangenen adoptiert.

Als Grund für seine Festnahme gelten verschiedene Examensaufgaben, die der 44jährige seinen Studenten gestellt hatte. So sollten die Studenten diskutieren, warum ein Mann nach islamischem Recht vier Frauen heiraten darf, warum so viele Palästinenser auswandern oder warum die Geburtenrate sinke. Die politisch brisanteste Frage aber lautete, wie man die Ineffektivität und Korruption in der Universitätsverwaltung und der Autonomiebehörde bekämpfen könne. Mehr als 80 Prozent der Palästinenser im Westjordanland und im Gaza-Streifen sind laut einer Umfrage vom Frühjahr dieses Jahres der Meinung, daß Korruption in der palästinensischen Autonomiebehörde weit verbreitet ist. Palästinensische Sicherheitskreise dementieren, daß Subah wegen seiner kritischen Fragen verhaftet wurde. Sie machen „Sicherheitsgründe“ geltend, eine Standardantwort, die der einstigen und heutigen israelischen Begründung für die Festnahme von Palästinensern aufs Haar gleicht.

Die Festnahme Subahs ist kein Einzelfall. Anfang Mai wurde der prominente palästinensische Journalist Daud Kuttab für eine Woche in Ramallah in Haft genommen. Sein Vergehen: Er hatte eine Debatte des palästinensischen Parlaments über die Veruntreuung von 326 Millionen Dollar durch die Autonomiebehörde in einem privaten Fernsehkanal übertragen, allerdings mit Erlaubnis des Informationsministeriums und einem Vertrag mit dem Parlament. Seither sind seine Übertragungen, die schon vorher von der Autonomiebehörde gestört wurden, vollends vom Bildschirm verschwunden.

„Sie kennen nur einen kleinen Teil der Menschenrechtsverletzungen, die sich hier ereignen“, sagt der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im palästinensischen Parlament, Kamal al- Scharafi. Details nennen will er nicht. „Was uns beruhigt“, sagt er weiter, „ist, daß die Ausschreitungen keine Staatspolitik sind. Der Präsident hat das vor dem Parlament klar zum Ausdruck gebracht.“ Im Fall Subah habe der Menschenrechtsausschuß nur zwei Stunden nach seiner Verhaftung bereits Kontakt mit ihm aufgenommen. Allerdings solle man in diesem Verfahren erst Anklage und Gerichtsverfahren abwarten und nicht allen veröffentlichten Gerüchten glauben, so Scharafi.

Die palästinensische Menschenrechtsorganisation unter Vorsitz von Bassam Eid hat jüngst einen Bericht vorlegt, dem zufolge 42 Gefangene mit Stöcken und Elektrokabeln geschlagen, in schmerzhaften Stellungen gefesselt und mit kaltem und heißem Wasser übergossen wurden. „Die Folter von Gefangenen durch die palästinensischen Sicherheitskräfte ist weit verbreitet“, sagt Bassam Eid. In dem Bericht werden Beispiele von Gefangenen angeführt, die unter der Folter Morde gestanden haben, die begangen wurden, als sie in israelischen Gefängnissen einsaßen. Der wegen „Vorteilsnahme“ inzwischen entlassene palästinensische Generalstaatsanwalt Chalid al-Qidra räumt ein, daß es einzelne Fälle von Folter gebe. „Aber in jedem einzelnen Fall werden die Beteiligten verhört und vor Gericht gestellt“, versichert der Generalstaatsanwalt a.D.

Palästinenser im Gaza-Streifen, die ihren Namen lieber nicht nennen wollen, behaupten Gegenteiliges. Laut ihren Angaben können sich im Westjordanland gesuchte Mörder von Maklern, die Land an Israelis verkauft haben, in Gaza frei bewegen. Selbst zu Haftstrafen verurteilte Mitglieder der Geheimdienste würden in Gazas Straßen frei herumlaufen. Obwohl der inzwischen ebenfalls abgelöste Polizeichef Nasser Jussif bereits nach dem zweiten Folteropfer öffentlich versprach, daß es keine weiteren Morde im Gefängnis mehr geben würde, sind seither weitere zwölf Gefangene in der Haft ums Leben gekommen. Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation Betselem wurden zwar stets Untersuchungen durchgeführt und Bestrafungen angekündigt, aber die Ergebnisse bis auf einen Fall nicht öffentlich mitgeteilt.

Laut amnesty wurden in den ersten zweieinhalb Jahren der Arafat-Herrschaft mehr als 2.000 Personen aus politischen Gründen verhaftet. Weniger als 100 wurden vor Gericht gestellt. Wenn doch, dann meist vor Staatssicherheitsgerichten, die dem Procedere eines normalen Gerichtsverfahrens Hohn sprächen, so amnesty international. Die Autonomiebehörde rechtfertigt sich zumeist damit, daß sie unter israelischem und US- amerikanischem Druck gezwungen sei, vor allem Hamas-Anhänger und -Mitglieder festzunehmen. Amnesty beklagt gleichwohl, daß auch palästinensische Menschenrechtler wie Raji Sourani, Ijad al- Sarradsch, Bassam Eid oder Muhammad Dahman wiederholt verfolgt und in Haft genommen wurden. Georg Baltissen, Gaza