Politisch kaltgestellt

■ Abbassi Madani, Chef der FIS, kommt frei

Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Geste der Versöhnung: Nach über sechs Jahren Haft entläßt die algerische Staatsführung den Chef der Islamischen Heilsfront (FIS), Abbassi Madani, aus dem Gefängnis. Nach Madanis Verhaftung und dem Verbot der FIS hatte in Algerien ein brutaler Krieg zwischen dem vom Militär gestützten Regime und den Islamisten begonnen. Zwischen 60.000 und 120.000 Menschenleben soll das Gemetzel bis heute gefordert haben. Madanis Freilassung, so könnte man meinen, soll dazu dienen, den blutigen Kampf zu beenden. Aber solche Hoffnungen sind nicht angebracht. Um schlichtend in den Konflikt eingreifen zu können, müßte sich Madani zu Wort melden können. Doch Algeriens Machthaber verbanden seine Freilassung mit einem Redeverbot. Der 66jährige darf sich nicht politisch betätigen. Der FIS-Chef ist kaltgestellt.

Zwar ist fraglich, welchen Einfluß Madani mehr als sechs Jahre nach seinem unfreiwilligen Verschwinden überhaupt noch hätte. Die FIS ist mittlerweile zerstritten, und im islamistischen Lager haben die Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) das Sagen. Diese – mehr Räuberbanden als politische Gruppierung – liefern sich mit dem Regime einen Krieg, dem zumeist unbeteiligte Zivilisten zum Opfer fallen. Dennoch wäre es einen Versuch wert gewesen, Madani politisch wirken zu lassen. Der Professor gilt als einer der Moderateren unter Algeriens Islamisten. Noch aus dem Gefängnis heraus führte er Verhandlungen mit den Machthabern. Gemeinsam mit anderen FIS-Führern, wie dem radikaleren, um einiges jüngeren und immer noch inhaftierten Ali Belhadsch, könnte er durch öffentlichkeitswirksame Appelle den GIA einen Teil ihres Zulaufs entziehen.

Doch das Regime weiß, daß es durch jede Aufwertung von Madani und der FIS die eigene Herrschaft gefährden würde. Deshalb ist die Freilassung des FIS-Chefs weniger innenpolitischem Kalkül geschuldet als eine Geste in Richtung Ausland. Ohne den prominten politischen Häftling sieht die Menschenrechtsbilanz des Landes nicht ganz so finster aus, und die Staatsführung erinnert ein bißchen weniger an ein Militärregime. An den Verhältnissen im Land ändert das nichts – und wohl auch nicht an der Fortdauer des Bürgerkriegs. Thomas Dreger

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