Zwischen 22.38 und 22.53 Uhr ein bißchen Kunst

■ Sechs Varianten der Abstraktion: Papierarbeiten aus der Generation der Anfang-Vierzigjährigen bei Rabus

Durchaus vorstellbar: Da treibt es also einen jungen, hungrigen Menschen an den nährenden Busen der Kunst. Älter geworden, steckt er da fest, und weiß nicht mehr so recht warum. Was tun? In den meisten Fällen wird er zum Mimen seiner selbst, spielt weiter die amour fou zur Kunst, aller Erkaltung zum Trotz, simuliert den Willen zum Ausdruck, stellt Ernsthaftigkeit nach.

Ist unser Entzauberter jedoch klüger, raffiniert oder ein Schlitzohr, dann sagt er mit lauter Stimme, daß er nichts mehr zu sagen hat – und inszeniert das vielleicht gewitzt, vielleicht revolutionär, vielleicht einfach nur charmant.

„20.6.96., 22.38 - 22.53. Da ist noch etwas Rest Farbe von gestern. Das Gelb ist leider schon eingetrocknet. Blau ist noch da.“Es folgen ein paar Kleckse mit räudigem, verdrecktem Blau auf DIN-A4-Kopierpapier gefetzt. „Ich warte lieber, bis das auch eingetrocknet ist.“So geht der Antikunst-Comic des Bremers Harald Falkenhagen. Kunst als Laune des Moments? Als – augenzwinkernd – sedimentierte Langeweile? Als Zufallsprodukt?

Auch Falkenhagen steht mit seinem Ent-Ernsten der Kunst in einer Tradition. Schon Georges Mathieu, der abstrakte Expressionist, brüstete sich der hirnlosen Schnellmalerei, und Jim Avignon zerschneidet seine Bilder zum fitzelweisen Verkauf, weil's eh wurscht ist – die unantastbare Werkeinheit, Aussage und so.

Seit Malewitschs schwarzem Quadrat, Duchamps Flaschentrockner, Fontanas aufgeschlitzter Leinwand gibt es jede Menge Zu-ende-Radikalisierungen, Eigendementis und Selbstzerstörungsaktionen der Kunst allerunterschiedlichster Couleur. Diejenigen von Falkenhagen sind besonders liebenswert. Erfahrungsbericht taz-Redaktion: Redakteure passieren einen Original-Falkenhagen, und plötzlich schmunzeln sie hintersinnig: „Finde ich gut“.

Ausgesprochen doppelbödig ist hingegen die Hängung von Galeristin Katrin Rabus. In ihrer wunderschönen, klassischen Mixed-pickles-Sommer-Ausstellung mit sechs Papierarbeitern und einer Stoffkünstlerin plazierte sie just neben die bescheidenen, selbstironischen Flecken von Falkenhagen die ganz ähnlichen, jedoch bierernsten Flecken des Ullrich Wellmann auf monochromem Hintergrund. „Unendlich viele Schichten“male er übereinander, erzählte er der Galeristin – so, wie das eben alle Monochromen erzählen, pochend auf die enorme Arbeitsleistung (Gegensatz: Falkenhagen) hinter der vordergründigen Einfachheit, auf den verborgenen Tiefsinn (Gegensatz: Falkenhagen) hinter der sichtbaren Fläche. Schön sind sie dennoch. Kennzeichen unserer Zeit: Ernst und Unernst können einträchtig nebeneinander hängen, ohne sich gegenseitig zu zerstören.

Martin Noel läßt die Welt der Gegenstände in Abstraktion wegkippen. Er zoomt sich so tief hinein, vergrößert Konturen bis zur Unkenntlichkeit, auf daß sich alles in weltfremdes Geäst auflöst und benennt seine dekorativen Bilder nach real existierenden Fußballspielern. Auch hier das selbstironische Falkenhagensyndrom?

Vielleicht denkt Peter Rode Magrittes legendäre Zeichnung mit der Pfeife und der Beschriftung „Das ist keine Pfeife“ein Stück weiter. Jedenfalls streut er das Wort „Himmelblau“über ein gänzlich blauloses Bild. PessimistInnen werden nicken und denken: Der Mann hat recht, nichts hält, was es verspricht. Kreative werden beipflichten: Nur wenn er uns das Blau vorenthält, werden wir selbst tätig und das Blau imaginieren. EsoterikerInnen werden überdenken: Auch wenn wir das Blau nicht sehen, so schwingt es doch in den anderen Farben im Verborgenen mit.

In einer anderen Serie denkt er sich den Rechenzeichen, Addition, Subtraktion etc. entlang. Er arbeitet damit aber nicht, wie es die Gesetze des Taschenrechners vorschreiben, sondern eher nach denen der Ästhetik. Den Rest, Stoffproben, ausgebreitet oder abgelegt, Konturen, von der Fläche emanzipiert, entdecken Sie besser selbst.

Barbara Kern

Galerie Katrin Rabus, Plantage 13, Mi-Fr 16-19 Uhr und nach Vereinbarung