Am Rande der Zahlungsunfähigkeit

■ Rechnungshofpräsident warnt Koalition vor „taktischen Spielchen“. Aktuelle Finanzlage „unglaublich schwierig“

Der Präsident des Landesrechnungshofes, Horst Grysczyk, hat den eindringlichen Appell an die CDU/SPD-Koalition gerichtet, die dramatische Finanzsituation nicht für parteipolitische Ziele zu mißbrauchen. „Es gibt keinerlei Raum mehr für taktische Spielchen mit den Haushalten 1997 und 1998“, sagte der oberste Rechnungsprüfer des Landes in einem Gespräch mit der taz. In drei Wochen findet die Senatsklausur zum Etat 1998 statt, die Anfang des Jahres zu einer siebentägigen Regierungsblockade geführt hatte.

Finanziell herrsche „objektiv eine unglaublich schwierige Situation“, betonte Grysczyk. Das Land steuere „im zweiten Halbjahr 1997“ hart auf den Staatsbankrott zu. Grysczyk begrüßte daher das vom Senat beschlossene Frühwarnsystem (siehe taz von gestern) für den jeweils aktuellsten Stand der laufenden Ausgaben und Einnahmen, das „übergreifende Berichtswesen“. Der Präsident bezweifelte freilich, daß der neue zweimonatige Kassensturz (bisher vierteljährlich) kurzfristig genug erfolge. In der derzeitigen Situation müsse Finanzsenatorin Fugmann-Heesing (SPD) „jederzeit bei den Ausgaben auf die Bremse treten können“.

Das Land hat seine Kreditlinien so weit ausgeschöpft, daß nun dringend Einnahmen verbucht werden müssen. So soll möglichst schnell eine Milliarde Mark aus dem Eigenkapital der Wasserbetriebe aktiviert werden. Finanzsprecher Frank Zimmermann sagte, dieses Geld sei „wesentlich und wichtig für die Einhaltung der Haushaltsansätze“. Im Klartext: Ohne Cash von seiner „reichen Tochter“ (Grysczyk) Wasserbetriebe ist Berlin nicht mehr flüssig.

Die auf 5,45 Milliarden Mark begrenzte Nettokreditaufnahme ist bereits zu 4,7 Milliarden erfolgt. Und auch der sogenannte Kassenkredit (rund 6,4 Mrd. disponible Mark) ist derzeit weit ausgeschöpft. Das Land ist also kurz vor den Etatberatungen für das nächste Jahr in einer höchst heiklen Situation: Der Sparstrumpf unterm Kopfkissen ist geplündert, der Dispo (Kassenkredit) bis zum Anschlag angespannt. Grysczyk sagte der taz, die Einnahmen aus den Vermögensgeschäften wie der Bewag (rund 3 Mrd. Mark) müßten schnellstmöglich eingehen, um den Kassenkredit zu entlasten. Ansonsten drohten Vorboten der Zahlungsunfähigkeit: hinausgezögerte Rechnungen, spätere Gehaltszahlungen. „Die Gehälter sind nicht gefährdet“, dementierte hingegen Zimmermann kategorisch.

Auch die finanzpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Michaele Schreyer, sieht den Pleitegeier kreisen: „Wenn das Parlament den Kreditrahmen nicht erhöht, ist Berlin im Herbst wahrscheinlich zahlungsunfähig.“ Schreyer will heute eine umfassende Analyse des Haushalts vorlegen. cif