Rache für Richtungswandel

■ Perus TV-Sender Frecuencia Latina enthüllt einen Geheimdienstskandal nach dem anderen. Nun soll ein Trick ihn mundtot machen, die Sache wird zur Staatsaffäre

Buenos Aires (taz) – „Show der Leichen“ nannte man früher die Nachrichtensendung „90 Segundos“ auf dem peruanischen TV- Kanal Frecuencia Latina. Junge Reporterinnen mit weit ausgeschnittenen Oberteilen standen darin vor zusammengestoßenen Omnibussen und zählten live die Toten. Täglich um elf Uhr nachts verabreichte der Kanal Regierungspropaganda pur. Doch seit zwei Monaten bringt Frecuencia Latina plötzlich die Skandale der Regierung von Präsident Alberto Fujimori. Erst berichtete der Sender, wie der Geheimdienst SIN eine Ex-Agentin folterte, die andere ermordete und zerstückelte, dann wurden ungewöhnlich hohe Nebeneinkünfte von Fujimori-Berater Vladimorio Montesinos aufgedeckt – aus dem Drogenhandel, wie es hieß. Schließlich folgte am vergangenen Sonntag die Enthüllung über knapp 200 Abhöraktionen des SIN. Die Bänder der Telefonate von Journalisten, Politikern, Intellektuellen und Stars wurden live abgespielt.

Für die Männer um Fujimori war damit das Maß voll. Sie erkannten dem Besitzer des Senders, Baruch Ivcher, kurzerhand die Staatsbürgerschaft ab. Vor 13 Jahren hat der gebürtige Israeli den peruanischen Paß beantragt und erhalten. Er habe seinen israelischen Paß nicht zurückgegeben, sagen die Behörden. Ivchers Anwälte bestreiten dies. Der Knackpunkt: Nach peruanischem Recht darf kein Ausländer die Mehrheit eines Medienunternehmens haben. Mit der Aberkennung wäre Ivcher seine 53 Prozent an dem Sender los. Dann würden die zweitgrößten Anteilhalter in die Bresche springen, zwei Brüder, die als treue Gefolgsleute Fujimoris gelten.

Ivcher hatte aus Frecuencia Latina einen Regierungskanal gemacht. Während der Geiselkrise in Lima teilten sich die Kamerateams von Frecuencia Latina und die Spezialeinheiten der peruanischen Polizei eine Wohnung im elften Stock eines Hauses mit bestem Blick auf die besetzte Botschafterresidenz. Ohne die hervorragenden Beziehungen zu den Sicherheitskräften hätten die Reporter von Frecuencia Latina wohl auch niemals die abgehörten Telefongespräche bekommen. Daher vermuten manche, daß es einen Teil im Apparat gibt, der sich Fujimoris Berater Montesinos entledigen will und dem Sender Informationen zuschiebt.

Warum es jetzt zu dem Bruch zwischen Ivcher und Fujimoris Leuten kam, ist unklar. „Das Ganze wirkt wie eine glückliche Ehe, die plötzlich auseinandergeht“, meint das Mitglied des Oppositionsbündnisses Demokratisches Forum, César Rodriguez Rabanal. Es gehen Gerüchte um, daß es bei einem Geschäft zwischen Ivcher und der Regierung zu Unstimmigkeiten kam. Aus Miami meldete sich Ivcher zu Wort und nannte die Aktion eine „Barbarei“, hinter der ein „mächtiger Mann“ stehen würde, der sich Frecuencia Latina unter den Nagel reißen wolle.

Die Motive der Regierung, Ivcher außer Gefecht zu setzen, sind hingegen klar. Frecuencia Latina hat eine enorme Reichweite und ist der Kanal der Bevölkerungsmehrheit, der armen Mittel- und Unterschicht des Landes. „Die anderen Medien, wie die Tageszeitung La República, können ruhig ein bißchen Opposition machen, aber das beliebteste Programm soll regierungsfreundlich bleiben“, sagt Rodriguez Rabana. Es geht um die Kontrolle der Presse in Peru. Erst vor kurzem kaufte der Miami-Kubaner Gonzales zwei Fernsehkanäle. Mit von der Partie bei dem Deal sollen Erziehungsminister Domingo Palermo und der Medienunternehmer Genaro Delgado Parker sein, der schon den wichtigsten Radiosender und einen TV-Sender besitzt. Als erstes wurden bei den Neuerwerbungen sämtliche kritische Journalisten entfernt.

Während Alberto Fujimori in gewohnter Manier zu der Aktion schweigt, solidarisiert sich außer der Regierung fast ganz Peru mit Baruch Ivcher. Die Opposition, der Unternehmerverband Confiep und fast die gesamte Presse protestierten. Gestern erklärte US-Außenamtssprecher Norbert Burns, die Entscheidung „beunruhigt die USA“. Vor dem Sendestudio demonstrierten am Montag etwa 3.000 Menschen. „Morgen könnte jeder von uns ein Ivcher sein“, rief der ehemalige UNO-Generalsekretär Pérez de Cuéllar der Menge zu. Ingo Malcher