Kabinett unter Atomstrom

■ Bundesregierung pfeift auf den Energiekonsens und macht mit Änderung des Atomgesetzes neuen AKWs den Weg frei. Verschiedene Länder kündigen Klage an

Hannover (taz) – Keinen aktuellen Wunsch der Atomindustrie hat das Bundeskabinett gestern unerfüllt gelassen und die umstrittene Atomrechtsnovelle ohne Abstriche verabschiedet. Das neue Gesetz will für neue Reaktoren ein zentrales, standortunabhängiges Prüfungsverfahren ohne Bürgerbeteiligung möglich machen. Es sieht eine Privatisierung der Atommüllendlagerung ebenso vor wie eine spezielle Enteignungsklausel zuungusten des Gorlebener Salzstockbesitzers Andreas Graf Bernstorff. Auch der Endlagerbetrieb in Morsleben soll um weitere fünf Jahre verlängert werden. Bei Nachrüstungen von alten Reaktoren sollen sich die Betreiber künftig nicht mehr am aktuellen Stand der Sicherheitstechnik orientieren müssen.

Die rot-grüne Regierung in Sachsen- Anhalt hat schon Verfassungsklage gegen die Morsleben-Klausel des Gesetzes angekündigt. Der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, meinte, die Gesetzesänderung bedürfe der Zustimmung des Bundesrates und werde dort scheitern. Frau Merkel selbst hält ihr Gesetz jedoch nicht für zustimmungspflichtig.

Schließlich hat das Bundeskabinett gestern die Kohlesubventionen abgesegnet. Für die Bundesregierung habe immer festgestanden, daß „nicht allein die Zukunft der deutschen Steinkohle geklärt werden muß, sondern auch andere energiepolitische Fragen“, drohte Merkel gestern mit einer Verknüpfung von Atomrechtsänderung und Kohlesubventionen. Schon beim letzten Artikelgesetz, das nach den gescheiterten Konsensrunden 1993 Atomrecht und Kohlemilliarden verband, hatte die SPD-Mehrheit des Bundesrates das Gesetz als nicht zustimmungspflichtig eingestuft.

Daß die Zeit des Konsenses vorbei ist, zeigte gestern die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn. Sie teilte Angela Merkel mit, daß sie das Genehmigungsverfahren für das Atommüllendlager Schacht Konrad beenden will: „Es ist nicht genehmigungsfähig, da der Bund die erforderliche Planungsrechtfertigung nicht liefern kann.“ Schacht Konrad sei viel zu groß angelegt. Nordrhein-Westfalen kündigte Widerstand gegen die mit der Gesetzesänderung angepeilten Castor- Transporte nach Ahaus an. Mit der Novelle wäre das westfälische Zwischenlager offen für Transporte aus ganz Deutschland. ü.o. Berichte Seite 6

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