Spiel der Giganten

■ Ray Anderson im Übersee-Museum

Mit seiner aktuellen Formation widmet sich der fünfundvierzigjährige US-Posaunist Ray Anderson der New Orleans Tradition. Die Pocket Brass Band mit Jack Wal-rath an der Trompete, Jose Davila an der Tuba und Charli Persip an den Drums stellt quasi die Mini-Ausgabe einer Marching Band dar. Klanglich kann allerdings keine Rede von mini sein, das Quartett tönte eher wie eine ausgelassene Big Band – ließ mit mächtigem Blechsound die Palmen im dekorativen Ambiente des Lichthofs vom Übersee-Museum erzittern.

Dem experimentierfreudigen Posaunisten geht es darum, die den Stücken zugrundeliegende Stimmung einzufangen und vor dem Hintergrund der Jazzentwicklung sowie seiner Improvisationslust neu aufzubereiten. So war in jeder Bearbeitung die Verbeugung vor dem Original zu spüren, sei es in der frühen Ellington-Komposition „The Mooche“, die mit einer ausladenden Jungle-Sound Improvisation startete, oder im „Pineapple Rag“Scott Joplins.

Auch in Andersons eigenen Titeln spiegelte sich dieses spezifische Traditionsverständnis wider, wahrscheinlich nicht von ungefähr enthielt sein Titel „Raven-a-ning“eine Variation des Ayler-Themas „Ghosts“.

Voraussetzung einer solchen Herangehensweise ist nicht zuletzt musikalische Kompetenz, und die ist in der Pocket Brass Band reichlich vorhanden. Anderson selbst ist ein Gigant auf seinem Instrument, kaum ein anderer Posaunist verfügt über eine derartige Bandbreite an Ausdruck. Obwohl er Mittwoch weniger inspiriert wirkte als gewöhnlich, beeindruckte er mit bratzenden Oldtime-Sounds, sanft und elegant gehauchten Linien, perkussiven Klängen oder imitierten Baby-Geräuschen.

Auch Jack Walrath beeindruckte. Der vor allem durch seine Zusammenarbeit mit dem späten Charlie Mingus bekanntgewordene Trompeter ließ ein äußerst variationsreiches Spiel hören. Lyrische Chorusse standen neben gestochen scharfen Tönen, Growl-Sounds oder schmatzenden, gurgelnden sowie rauh schreienden Lauten. Dabei weist seine Tonmodulation manchmal verblüffende Parallelen zur Stilistik des Art Ensemble-Trompeters Lester Bowie auf, d.h. einen leicht gebrochen klingenden, „schmutzig“angerauhten Ton. Jose Davila an der Tuba zeichnete vornehmlich für rhythmische Basisarbeit verantwortlich. Seine singenden Walking-Bass-Linien schufen neben Charli Persips Trommeln die Grundlage für das Spiel Andersons und Walraths. Der Bebop-geschulte 68jährige Trommler war mit seinem swingenden, druckvollen Spiel gerade richtig für diese Art von Aufarbeitung der Tradition. Der Beifall im Lichthof zeigte, daß Dacapo ein starker Saisonabschluß gelungen ist. Arnaud