Schreiben ist Töpfern für Männer

Nische – Fabrik – Labor: Institute in Berlin, Teil 2. Das Schöneberger Institut für Kreatives Schreiben hält den gelungenen Text für eine Ressource beim Fortkommen in Leben und Beruf. Doch auch ein Rest an Esoterik winkt  ■ Von Fritz v. Klinggräff

Was es nicht alles kann und will. Es bietet Schreibwerkstätten an. Aus Freude am poetischen Akt, so verspricht ein Infoblatt aus der Bamberger Straße 52. Doch nicht nur dichten kann man hier. Im Schöneberger Institut für Kreatives Schreiben e.V. lernt man auch Gebrauchstexte zu verfassen. Studenten und angehende Doktoren lernen das „kreative Schreiben in den Wissenschaften“, Manager, Journalisten, Ärzte, Sozialarbeiter, ja selbst „Fachhochschullehrer“ haben „Erfolg im Beruf durch kreatives Schreiben“, Lehrer, Sozialarbeiter und auch der Polizeisprecher von Calw bekommen gegen „Gebühr“ ihre „extrafunktionale Schlüsselqualifikation“.

Je nach Wunsch im Präsenz- oder Fernstudium. Das klingt nach arbeitsamtgeförderter Umschulung zum Schreibmaschinen-Animateur – ist aber noch nicht alles. Hinzu kommen noch therapeutische Ziele im Ausbildungsgang „Poesiepädagogik“ – um die kollektiven Schmerzen beim „Übergang zur nachindustriellen Gesellschaft“ zu lindern.

Zwischen Dichtung, Selbsttherapie und Karrieretraining sucht das Institut seinen Weg in die organisierte Kreativität. Auf dem Papier klingt das ziemlich esoterisch. Wobei das Institut für Kreatives Schreiben nur als bessere Briefkastenfirma existiert. In der Bamberger Straße 52 nämlich gibt es kaum Platz für ein reges Institutsleben mit Schreibwerkstätten aller Art. Hier hat Claus Mischon seinen Wohnsitz.

Der Geschäftsführer und derzeit einzige hauptberufliche Mitarbeiter des Instituts pflegt den Kontakt zu seinen derzeit 20 Fernstudenten in Heimarbeit. Die 25 Schreibschüler vor Ort hingegen, die ihre bis zu 14semestrige Ausbildung studien- oder berufsbegleitend absolvieren, haben Asyl in der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialpädagogik und Sozialarbeit. Die hat in der Schwäbischen Straße zwei offene Räume und einen großartigen Tisch. Zu Gast ist das Institut für Kreatives Schreiben hier, weil es neben dem hauptberuflichen Geschäftsführer auch noch einen Leiter hat. Der agiert ehrenamtlich und heißt Lutz von Werder.

Schon mal gehört den Namen? Stichwort: Kulturrevolution, Kinderladen-Bewegung, Gemeinwesenarbeit. Als Professor für Sozialisationsforschung leitet Werder heute an der Fachhochschule ein Hochschuldidaktisches Zentrum. In der Schwäbischen Straße – der Kreis schließt sich. Das Zentrum tritt seit drei Jahren mit empirischen Forschungsergebnissen an die Öffentlichkeit. Diese belegen, daß vom Studenten bis zum Manager der deutsche Geistesarbeiter vor allem unter einem leidet: unter Schreibhemmungen.

Schreibhemmung als studentisches Problem

Die Perspektiven, die Werder daran knüpft, sind umfassend: „Die Japaner investieren dreißig Milliarden, die Amerikaner investieren zehn Milliarden für 326 verschiedene Ausbildungsgänge in kreativem Schreiben. Die Deutschen mit ihren Standortvorteilen und ihren Riesenbodenschätzen haben das anscheinend nicht nötig. Zur Zeit sind wir Entwicklungsland auf diesem Gebiet. Und warum? Vor allem weil man sich an den deutschen Unis über die Prozesse des Schreibens in Schweigen hüllt. Denn wodurch macht man denn als Akademiker Karriere: durch Vorträge und durch Aufsätze. Und genau diese Ressource des gelungenen Textes will man im Dunkel halten.“

Man sieht, Werder beherrscht noch die ganze kulturrevolutionäre Rhetorik. Versetzt ist sie inzwischen mit Zungenschlägen aus der Produktwerbung – Lutz von Werder hat was zu verkaufen: ein Institut mit vier Curriculae, einen beigeordneten Verlag und eine beachtliche Palette an Publikationen – sowie eine lange Geschichte.

Der Institutsleiter erzählt davon mit langem Atem und ironischer Distanz. Es begann Anfang der Achtziger in einem besetzten Haus am Winterfeldtplatz. „Das war damals ja so, daß Günter Grass und Gollwitzer und wer auch alles immer in Schlafsäcken in diesen Häusern rumturnten. Wir gründeten also ein Literaturcafé. Eines Abends kam da ein Mädchen rein. Liest ein Gedicht vor von einem Typen, der irgendwann Mist gemacht hat mit ihr. Und die sagt hinterher: ,Ja, ich find' das toll, wie ich mich jetzt fühle. Ich hab' die ganze Scheiße mal rausgelassen. Jetzt kann mir der Typ den Buckel runterrutschen; ich bin davon befreit.‘ Das hat mich interessiert: Im Prozeß des Schreibens kann man eine Entwicklung vollziehen. Der Begriff ,Schreiben befreit‘ ist also in der Winterfeldtstraße 36 entwickelt worden – spontan.“

Daraus entstand eine Erzählwerkstatt. Ein Zentrum für Poesietherapie und die Schöneberger Literaturrundschau. Dann, Anfang der Neunziger, wird das erste Curriculum entwickelt, und heute – „das ist das Charakteristische“ – kann man am Institut für Kreatives Schreiben eine richtige Ausbildung machen. Mit abschließendem Zertifikat.

Es sind nur am Rande die Gepflogenheiten wissenschaftlicher Rationalität, die man hier lernt. Auch die Rhetorik spielt eine untergeordnete Rolle. „Integrativ“, nennt das Institut seinen Ansatz – man will sich nicht entscheiden zwischen Volkspoesie und Managerschulung. Kreatives Schreiben ist angesiedelt zwischen literarischer Imitation, didaktischen Spielen und Selbsttherapie.

Mind Mapping in der „gereimten Familie“

Das wissenschaftliche Schreiben findet sich in Werders „Lehrbuch des kreativen Schreibens“ als ein „Szenarium“ angesiedelt zwischen dem utopischen und dem soziologischen Schreiben, umspielt von Projekten zur Kriminalerzählung, zur gereimten Familie, zum Schreiben gegen Schreibstörungen. Vom Free writing übers Clustern bis zum Mind mapping didaktisiert man die Methoden der écriture automatique, Quintilian ist so präsent wie Queneau, wenn es darum geht, die literarischen Traditionen aufs Curriculum-Format zu bringen. Den Kick zum Esoterischen bekommt die Sache, weil man sich nicht entscheiden will zwischen Spiel und Wirklichkeit. Technische Fertigkeiten sind hier allemal rückgebunden ans Naturgesetz: „Kreatives Schreiben versteht sich als ein Medium, das vernachlässigte, unbewußte, vergessene (kreatürliche) Ausdrucksmöglichkeiten fördert.“

„In zehn bis dreißig Jahren“, sagt Lutz von Werder, „wird es soweit sein, daß an jeder dritten oder vierten Universität in Deutschland ein Studiengang ,Schreiben‘ angeboten wird. Und zwar mit den entsprechenden Ausdifferenzierungen. Da geht kein Weg dran vorbei.“ Natürlich glaubt der Leiter des Instituts für Kreatives Schreiben das selber nicht. Die Gründe dafür, warum es in Deutschland nie auch nur einen einzigen Studiengang für kreatives Schreiben geben wird, sind ihm vertrauter als jedem anderen.

Den Visionen des alten Kulturrevolutionärs hält sein Geschäftsführer denn auch mit leicht gequälter Miene seinen Alltag als hauptamtlicher Schreibgruppenleiter entgegen: „Es gibt inzwischen an jeder deutschen Volkshochschule funktionierende Schreibwerkstätten mit zehn bis fünfzehn Leuten, die sich über ihre Resultate austauschen. Ich mache das in der Woche fünfmal. Im Alltag dieser Schreibwerkstätten ist der Umgang mit Texten sehr lebensnahe. Das kann betulich sein. Altbacken. Aber ist das schon verwerflich?“ Schreiben ist Töpfern für Männer. Wer sollte was dagegen haben?

Institut für Kreatives Schreiben e.V., Bamberger Straße 52

Teil 1 unserer Reihe behandelte das Berliner Goethe-Institut (erschienen am 29.5.)