Eine Durststrecke

■ betr.: „Dringende Bedürfnisse“, taz vom 11.7. 97

Fast hätte ich mich verschluckt, als ich in der taz von der Pressesprecherin des Bezirksamts Mitte, Karin Rietz, lesen durfte: „Das WC muß leicht erreichbar sein.“

Mit demselben Anliegen hatte ich mich vor Monaten an dasselbe Bezirksamt gewandt, weil in demselben Café Einstein unter Verstoß gegen geltendes Baurecht keine behindertengerechte Toilette vorhanden ist.

Daraufhin wurde ich von dem zuständigen Amtsleiter Kempf belehrt, daß es (weit hinten) im Keller des Nebenhauses eine behindertengerechte Toilette gebe und das Nebenhaus (nach einem Stühle- und Tischerücken im Café) über einen seitlichen Notausgang zu erreichen sei.

Dort müsse dann nur noch der Pförtner gefunden werden, der dem Behinderten die Nutzung eines Aufzugs (zu dem nur er einen Schlüssel hat) ermöglicht.

Daß selbst im günstigsten Fall mindestens fünf Ampelphasen vergehen, bis ein Rollstuhlfahrer mit Hilfe von Gästen, Kellnern, Pförtnern und Aufzug sein Ziel erreicht, und der Pförtner in den Abendstunden oder am Wochenende überhaupt nicht oder allenfalls nach langem Suchen zu finden ist, dazu äußerte sich der Amtsleiter nicht.

Verglichen damit ist die Fürsorge des Bezirksamts gegenüber Café-Trinkern auf dem Mittelstreifen geradezu rührend. Wenn diesen „notdürftigen“ Fußgängern nur ein Bruchteil dessen zugemutet würde, was das Bezirksamt behinderten Gästen des Café Einstein zumutet, dann dürfte eine Schankgenehmigung auf dem Mittelstreifen eigentlich kein Thema sein.

Versucht man jedoch, beide Argumentationen unter einen Hut zu bringen, dann gibt es nur eine Erklärung: Weil Behinderte im Café Einstein nicht oder nicht rechtzeitig aufs Klo können und deshalb auf den Mittelstreifen ausweichen müssen, kann dort nicht gleichzeitig ein Café betrieben werden!

Und weil ein klassisches Café Achteck zwar denkmal-, aber nicht behinderten- und damit auch nicht verfassungsgerecht wäre, ein innovatives Café Wall zwar behinderten-, aber nicht denkmalgerecht, muß die Flaniermeile wohl bleiben, was sie ist: eine Durststrecke. Klaus Fischbach