Günter Grass findet die Lübecker Kripo jämmerlich

■ Polizei wehrt sich. Ermittlungen gegen Hakenkreuzschmierer in vollem Gange

Berlin (taz) – Die Vorwürfe wiegen schwer. Vor allem, weil sie nicht „irgendwer“ erhebt, wie Hartmut Wegener, Staatssekretär im Kieler Innenministerium, pikiert bemerkt, sondern Günter Grass. Der Schriftsteller wirft den Lübecker Ermittlungsbehörden unqualifizierte Arbeit vor. In einem Interview mit der Woche sagte er zu den Hakenkreuzschmierereien an seinem Büro: „Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft sind jämmerlich und beschämend.“ Grass hegt den Verdacht, die Polizei verschleppe die Ermittlungen. Sein Büro war am 25. Juni mit Hakenkreuzen bemalt worden. Sechs Tage danach seien die Fotos noch nicht entwickelt gewesen. Eine Polizistin habe ihm gesagt, aus Ersparnisgründen hätten die Filme nicht in Lübeck entwickelt werden können, sondern seien nach Kiel geschickt worden. „Während dieser sechs Tage gab es den nächsten Brandanschlag. Da ist der Verdacht der Verschleppung der Ermittlungen angebracht.“

Die herbe Kritik des Schriftstellers läßt Beamtenchefs springen. Kaum liefen die Interviewpassagen über die Nachrichtenagenturen, fanden sich im Lübecker Behördenhaus ein Staatssekretär, zwei Behördenleiter, ein Inspektionsleiter und ein Oberstaatsanwalt zusammen. Und dementierten. Grass' Kritik sei „insgesamt unqualifiziert und geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Polizei zu untergraben“, ließ Innenstaatssekretär Wegener schriftlich festhalten. Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schultz hält Grass schlicht für unwissend. Die Entwicklung der Tatfotos sei „keine vordringliche Sache gewesen“. Selbst wenn die Schriftzüge bei den diversen Schmierereien gewisse Ähnlichkeiten aufwiesen, sei dies „kein seriöser Nachweis“, um einen Täter überführen zu können. Solche Schriftvergleiche seien nicht zu vergleichen mit handschriftlichen Notizen. Beim Sprayen verzögen sich die Schriftzüge, auch fehlten charakteristische Merkmale wie etwa der Druck auf ein Schreibgerät, mittels dessen beim Handschriftenvergleich ein Schreiber identifiziert werden könne.

Trotzdem, die Anschuldigungen treffen ins Mark. Bei der Lübecker Kripo machen „sie wütend, beunruhigen uns aber nicht, weil wir mehrere Sonderkommissionen eingesetzt haben“, sagt ein beteiligter Ermittler. Derzeit sind 99 Beamte und Beamtinnen mit der Spurensuche befaßt. Staatsanwalt Schultz bemüht sich, die Wogen der Empörung mit einer Erfolgsnachricht zu brechen. Der Anschlag auf die St.-Vicelin-Kirche vom 25. Mai sei fast aufgeklärt, sagte er gestern. Einer der mutmaßlichen Brandstifter habe in der Untersuchungshaft sein „relativiertes Geständnis“ inzwischen „umfangreich erneuert“. roga