„Viele zeigen sich einsichtig“

■ Richterin Sophia Ladewig (30) sieht die Ursachen für häusliche Gewalt in Arbeitslosigkeit und Alkohol. Per Schnellverfahren erstmals erfolgreiche Ahndung

taz: Warum werden viele Fälle von häuslicher Gewalt im Schnellverfahren verhandelt?

Sophia Ladewig: Weil man sich davon erhofft, daß durch die Nähe zur Tat die Geständnisbereitschaft und Einsichtsfähigkeit der Angeklagten und auch die Aussagebereitschaft der Geschädigten viel höher ist als bei Normalverfahren.

Mit welchen sozialen Schichten haben Sie zu tun?

Man sagt ja immer, daß häusliche Gewalt quer durch alle Schichten geht. Aber ich habe in meiner Praxis nicht diese Erfahrung gemacht. Ein einziges Mal hatte ich einen Akademiker als Täter. Meistens sind es Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger, die aus Verzweiflung zuschlagen. Ein weiterer großer Täterkreis sind Männer aus anderen Kulturkreisen, die behaupten, daß ihre Gesellschaft ihnen erlaube, ihre Frauen zu schlagen. Da kann man nichts anderes machen, als sie darüber aufzuklären, daß sie, solange sie in Deutschland leben, sich den hiesigen Regeln anzupassen haben. Die Frauen sind häufig sehr zurückhaltend und bemüht, den Mann in Schutz zu nehmen. Sobald man jedoch den Mann von der Vernehmung ausschließt, reden sie.

Befürchten Sie nicht, viele Angeklagte wieder im Gerichtssaal zu sehen?

Nein, ganz im Gegenteil. Viele zeigen sich einsichtig. Auch wenn der Tatvorwurf bestritten, das Urteil aber angenommen wird, kann man daraus schließen, daß sich dieser Angeklagte doch zu Recht verurteilt fühlt. Eine gewisse Einsicht und Reue ist da schon zu erkennen. Das Erfreuliche ist, daß man aufgrund der Beweislage, statt Verfahren einzustellen, häufig zu Verurteilungen gelangen kann.

Und die Angst, daß Frauen nach einer Verurteilung für ihre Aussagen „bezahlen“ müssen?

Davor habe ich Angst – sowohl bei den Ausländern als auch bei den Deutschen. Das Günstigste ist, aggressive Täter, die zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden, darauf hinzuweisen, daß die Bewährung bei dem kleinsten Vorfall sofort widerrufen und die Freiheitsstrafe vollstreckt wird.

Wie wird häusliche Gewalt in Schnellverfahren geahndet?

Das bewegt sich häufig im Rahmen von Geldstrafen. Bei Ersttätern und bei nicht so schweren Folgen verhängen wir Geldstrafen im Bereich von 30 Tagessätzen. Wenn es sich um gefährliche Körpverletzunge handelt, sind es Freiheitsstrafen zur Bewährung zwischen drei und fünf Monaten. Die Angeklagten bekommen oft Auflagen von beispielsweise 500 Mark Geldbuße, die an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen ist.

Wird oft die Auflage einer Entziehungskur erteilt, wenn Alkohol eine große Rolle spielt?

Nein. Das geht nur mit dem Einverständnis des Angeklagten. Viele glauben, daß sie mit Alkohol gar kein Problem haben. Oft wird erst aus der Vernehmung der Frau deutlich, daß der Mann sehr viel mehr trinkt, als er sich selbst eingesteht.

Welche Stimmung erleben Sie vor Gericht?

Das ist schon sehr bedrückend. Beschleunigte Verfahren wegen häuslicher Gewalt sind die schwierigsten Prozesse, weil es zu vielen Emotionen kommt, wenn beide Beteiligte im Saal sind. Häufig kommt es zu Tränen oder gegenseitigen Beschuldigungen, oder man hat sich versöhnt und bringt das zum Ausdruck. Häufig ist die Stimmung von seiten der Täter sehr aggressiv. In solchen Fälle entferne ich den Täter aus dem Sitzungssaal während der Vernehmung der Geschädigten, damit sich diese traut, in Ruhe auszusagen. Ganz wenige Frauen verweigern die Aussage. Das führe ich auf das beschleunigte Verfahren zurück. Ich hatte seit Oktober 1996 bis jetzt nur drei Frauen von 160, die die Aussage verweigert haben. In diesen Fällen mußten die Männer freigesprochen werden.

Glauben Sie, daß die Tendenz bei häuslicher Gewalt weiter steigen wird?

Wenn die Ursachen wie Arbeitslosigkeit und Alkoholismis nicht bekämpft werden und häusliche Gewalt in der Gesellschaft nicht geächtet wird, ist es zu befürchten. Bis Ende März war der Anteil von häuslicher Gewalt im beschleunigten Verfahren bei 15 Prozent, Ende Juni war er schon bei 20 Prozent. Interview: Barbara Bollwahn