Explosionen der Gewalt

Jeden Monat gibt es 300 Verfahren wegen Körperverletzung in häuslichen Beziehungen. Justiz setzt auf Schnellverfahren und auf Einsicht durch Strafe  ■ Von Barbara Bollwahn

13. April 1997: Ein 51jähriger Mann aus Pankow zündet die Schlafcouch in der Wohnung seiner ehemaligen Lebensgefährtin an und macht die Wohnung unbewohnbar. Grund: Seine 46jährige Ex hatte ihn aus der Wohnung gewiesen. 29. April 1997: Ein 45jähriger Mann greift seine Lebensgefährtin in seiner Wohnung in Spandau mit einem Messer an und verletzt sie an Hals und Nacken. Grund: Streit bei einem Alkoholgelage. 4. Mai 1997:Eine 26jährige Frau zündet die Wohnungstür ihres 40jährigen Freundes in Wedding an. Grund: Eifersucht. 5. Juli 1997: Ein 36jähriger Mann aus Brandenburg, dessen Blutalkohol bei 3 Promille liegt, schlägt seine Lebensgefährtin mit einem Baseballschläger. So richtig in Fahrt gekommen, greift er zu einer Kettensäge und verwandelt die Küche in ein Trümmerfeld. Grund: Familienkrach.

Ob Fäuste, Messer, Baseballschläger oder eine Kettensäge – immer öfter enden Auseinandersetzungen unter Eheleuten, Lebenspartnern oder Verflossenen mit Hämathomen, Platzwunden oder Gehirnerschütterungen statt mit Tränen. Einen traurigen Rekord vermeldet die Senatsverwaltung für Justiz mit dreihundert Verfahren pro Monat, in denen Lebenspartner wegen tätlicher Streitigkeiten vor dem Kadi stehen. Nach Angaben von Pressesprecherin Corinna Bischoff handelt es sich meist um Fälle von einfacher Körperverletzung. Doch auch gefährliche Körperverletzung unter Einsatz von „Hilfsmitteln“ wie Eisenstangen, Stühlen oder Besenstielen sind immer häufiger an der Tagesordnung.

„Meist sind Kleinigkeiten, die plötzlich größte Bedeutung gelangen, der Anlaß für Auseinandersetzungen“, weiß Oberamtsanwältin Heide Kleinen vom seit Oktober 1996 eingerichteten Sonderdezernat gegen häusliche Gewalt. Oftmals fänden die Streitigkeiten in sich auflösenden Beziehungen statt. In den ersten sechs Monaten seit Bestehen des Dezernats wurden nach Angaben der Oberamtsanwältin 1.700 Verfahren bearbeitet. Das sind etwa zehn Verfahren pro Tag.

Seit Einrichtung des Sonderdezernats – mißhandelte haben Frauen die Möglichkeit, einen Strafantrag zu stellen, vorher blieb ihnen oftmals nichts anderes übrig, als den Privatklageweg zu beschreiten – ist es nicht nur möglich, handgreifliche PartnerInnen vor den Kadi zu bringen. Mit der Eröffnung einer zweiten Abteilung für Schnellverfahren im Mai am Amtsgericht Tiergarten hofft die Senatsverwaltung für Justiz, in Zukunft noch mehr Fälle von häuslicher Gewalt stehenden Fußes aburteilen zu können. Diese Verfahren im 15- oder 30-Minuten-Takt ermöglichen es, daß bei klarer Beweislage der Angeklagte schon kurz nach der Tat zu einem Hauptverhandlungstermin geladen werden und die Staats- beziehungsweise die Amtsanwaltschaft auf die Erstellung einer Anklageschrift verzichten kann.

Seit Einrichtung des Sonderdezernats wurden über 300 Personen verurteilt. Bei den Schnellverfahren handelt es sich neben häuslicher Gewalt um Delikte wie Ladendiebstahl, Einbruchsdiebstahl, Fahren ohne Fahrererlaubnis, Trunkenheit am Steuer, Beleidigung und Bedrohung. Nach Angaben von Sophia Ladewig, die als Richterin am Schnellgericht im Polizeipräsidium am Tempelhofer Damm arbeitet, sind 20 Prozent der Verfahren Strafsachen im Bereich häuslicher Gewalt. Allein zwischen Januar und Ende Juni dieses Jahres hat ihre Kammer 162 Fälle von Körperverletzung unter Lebenspartnern im Schnelldurchgang verhandelt. 36 der Verfahren wurden gegen Geldbußen eingestellt, 11 Angeklagte kamen mit Bewährungsstrafen davon, einer wurde ohne Bewährung verurteilt, und drei gingen mit einem Freispruch nach Hause. In diesen Fällen verweigerten die Angeklagten die Aussage, und die Frauen machten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. 39mal verhängte das Gericht Geldstrafen. 19 Klagen wurden abgelehnt, und 33 Verfahren wurden ausgesetzt.

Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) setzt neben einer Entlastung der Justiz auf den „großen erzieherischen Wert“ von Schnellverfahren. Nach Ansicht von Oberstaatsanwältin Kleinen wird jedoch erst die Erfahrung zeigen, ob die Strafe auf den Fuß die erhoffte Wirkung zeigen wird.