Die Tourkolumne: Mein neues Leben mit Jan Ullrich

Es war immer schon da. Ein kontemplatives Fernsehritual wie Skifahren mit Ingemar Stenmark. Eine rätselhafte Monotonie in französichen Weindörfern, Weinfeldern, Weinbergen, begleitet von der Stimme Herbert Watterotts.

Jetzt ist das anders. Jetzt ist Jan Ullrich. Seit einer Woche sitze ich anteilnehmend vorm Fernseher. Immer noch kommentiert Watterott. Doch jetzt passe ich auf. Wie heißen die Teams, die Kapitäne, wie funktioniert Taktik, was ist ein Ritzel?

Das Memorieren des Halbwissens ist Bürgerpflicht. Wer waren noch gleich die, fragt einer, wie heißt es gleich – Bergspezialisten? Kletterer? Bergziegen? die jedenfalls, die Ullrich auf dem Weg ins gelbe Trikot so atemberaubend überholte? Visenz? Panini? Es hilft der Blick in die Zeitung: Ah, genau, Virenque und Pantani. Ich sage noch, daß letzterer Probleme mit dem Team hat und daher nicht weiter zu beachten ist. Mit einer Woche Zugucken habe ich noch einen gewissen Vorsprung vor jenen, die erst bei der Abendwiederholung von Andorra eingestiegen sind. Nun jongliere ich – gelb, grün, gepunktet – versuchswseise mit Sprint- und Berg- und Gesamtwertung. Wünschte, es gäbe eine deutsche Marca oder L'Equipe und mehre derweil mein Wissen bei Watterott. Abends tausche ich mich mit Mensch aus, die Eurosport mit Rudi Altig vorziehen.

Dort bringe ich auch ein, daß Ullrich nahe Freiburg mit seiner Freundin, die gut kochen kann, in einer 55-Quadratmeter-Mietwohnung glücklich ist, und ursprünglich aus Rostock stammt, von wo aus seine Mutter ihm die Daumen drückt. Das weiß ich aus meiner Boulevardzeitung, deren Lektüre derzeit Pflicht ist. Hier wird auch einfach erklärt, wie Riis den Machtwechsel aufnimmt (mannhaft), ob Ullrich bis Paris durchhält (klar) und was in den Alpen schiefgehen kann (viel).

Heute stand in der Sportabteilung eines Kaufhauses ein junger Mann hinter mir an der Kasse, der sehr unsportlich aussah und ein schießmichtotbuntes Synthetik-Trikot in der Hand hielt. Die Rennvariante mit drei Verpflegungstaschen auf dem Rücken. Ich kaufte, ehrlich, nur eine Chlorbrille. Aber die Radlerhandschuhe neben dem Kassentresen sahen toll aus. Ein Rennrad hab' ich ja schon. Katrin Weber-Klüver