Ein ETA-Mörder hungert gegen ETA-Morde

■ Seit einer Woche ist Joxean Carrasco im Hungerstreik aus Solidarität mit den Opfern

Bilbao (taz) – Das baskische Dorf Lasarte, wo die ETA vor einer Woche den 29jährigen konservativen Ratsherrn Miguel Angel Blanco Garrido mit zwei Kopfschüssen ermordete, ist José Antonio Joxean Carrosco Alba gut bekannt. Am 26. November 1985 ermordete er ebendort einen verrenteten Guardia-civil-Polizisten. Mit zwei Kugeln in den Kopf. Zwölf Jahre danach ist der inzwischen zu 30 Jahren Gefängnis verurteilte Carrasco in einen unbefristeten Hungerstreik getreten – aus Solidarität mit den Angehörigen des jüngsten ETA-Opfers und um „etwas für die Freiheit“ zu tun.

Angetan mit einem T-Shirt mit großem Katzenbild vor der Brust, trat der hagere 35jährige am Sonntag im Gefängnis von Córdoba vor die Presse. Vor einem Jahr, so erklärte der seit 1986 wegen Mord, Terrorismus, Sprengstoff- und Waffenbesitz Inhaftierte, habe er den Entschluß gefaßt, die ETA zu verlassen. Das Faß endgültig zum Überlaufen gebracht habe für ihn die Ermordung des Stadtrates Blanco Garrido. „Ich war am Ende“, sagte Carrasco am Tag danach vor den Journalisten, „ich habe geweint und hätte mich am liebsten irgendwo versteckt.“

Carrasco hat seinen Entschluß in der Einsamkeit einer andalusischen Zelle gefaßt. Die übrigen zehn Etarras in Córdoba blieben dem „Kollektiv der Abertzales, das im Gefängnis für die Souveränität des baskischen Volkes kämpft“, treu. Über 600 Personen zählt diese Zwangsgemeinschaft, die seit zehn Jahren systematisch über ganz Spanien verteilt wird und deren Existenz heute das zentrale Element der Propaganda von ETA und ihrem legalen Arm „Herri Batasuna“ (HB) ist.

Für ihre Zusammenlegung macht die ETA Attentate und organisierte HB noch vor Wochen Petitionen aller baskischen Nationalisten – auch jener, die jetzt für die Ächtung von HB eintreten. Das Thema der Gefangenen beschäftigt mehrere Kollektive von Familienangehörigen, die sich durch die weitgestreute Verteilung mitbestraft fühlen, und füllt täglich mehrere Seiten der ETA-nahen Zeitung Egin („Tun“).

Auch Carrasco ist für die Verlegung der Gefangenen „in den der Heimat nächstgelegenen Ort“. Aber er will sich nicht mehr einem „Kollektiv“ unterordnen, das zugleich Garantie gegen die Vereinsamung und für die Fortsetzung der militärischen ETA-Logik im Gefängnis ist.

Für das „Kollektiv“ ist Carrasco jetzt ein Verräter geworden, einer, der es gewagt hat, vom Glauben abzufallen. Als solcher ist er bedroht. „Ich habe keine Angst“, sagt er. Damit ist der Funken über die Gefängnismauern gesprungen. Hunderttausende Basken demonstrieren auf der Straße, eine Handvoll gefangener Ex-Etarras schreibt Aufrufe für ein Ende der Gewalt, Carrasco ist im Hungerstreik. Die Drohung mit der Angst verliert ihre Wirkung, draußen wie drinnen. Dorothea Hahn