Kein Dienst mehr am baskischen Volk

Diejenigen, die in den 50er Jahren die baskische ETA gegen die Unterdrückung der spanischen Franco-Diktatur gründeten, wollen mit den heutigen militanten Aktivisten nichts zu tun haben  ■ Aus Bilbao Dorothea Hahn

Die Waffen hat Iulen de Madariaga schon vor Jahren abgelegt. Aber mit dem Herzen ist der ETA- Gründer dem „nationalen Befreiungskampf“ gegen den „spanischen Imperialismus“ treu geblieben. Daran ändert nichts, daß er der Organisation seit 1987 nicht mehr angehört und daß er meint, die gegenwärtigen Etarras seien ihrer Aufgabe „nicht gewachsen“ und hätten mit dem Mord an Miguel Ángel Blanco Garrido eine „Riesendummheit“ begangen.

„Abokatu“ steht – zuerst auf baskisch, dann auf spanisch, französisch und englisch – auf der Visitenkarte des 65jährigen, dessen Kanzlei direkt neben dem Rathaus von Bilbao gelegen ist. Nur ein paar hundert Meter entfernt gründete de Madariaga um die Jahreswende 1952/53 zusammen mit „fünf oder sechs“ anderen Jura- und Wirtschaftsstudenten die Gruppe „Ekin“. Sie wollten die seit Francos Militärputsch von 1936 verdrängte baskische Sprache und Identität wiederbeleben. Den bewaffneten Kampf hatten sie zwar als Mittel erwogen, konzentrierten sich aber in den ersten Jahren ganz auf die politische Arbeit. Erst 1958/59 gaben sie sich den Namen „Euskadi ta Askatasuna – ETA“ (Baskenland und Freiheit). De Madariaga oblag der Aufbau des militärischen Arms.

Das Wort „militärisch“ mag der schlanke alte Mann mit grauem Schnäuzer und eng an der Kopfhaut liegenden schwarzen Haaren nicht. Er bevorzugt „bewaffneter Widerstand“ und betont, daß dieser Widerstand „grundsätzlich politischen Entscheidungen untergeordnet war“. Über die zahlreichen Aktionen, an denen er teilnahm, spricht de Madariaga nur zögernd und ohne Details. „Wir haben Konvois der Guardia civil angehalten, um ein Maximum an Waffen rauszuholen. Wir haben Geld aus Banken beschafft. Wir haben Unternehmer gekidnappt, die trotz mehrfacher Aufforderung nicht in die Widerstandskasse gezahlt hatten, und sie behalten, bis deren Familien zahlten“, zählt er auf. Für welche dieser Aktionen er seine auf viele kurze Haftzeiten verteilten insgesamt sechs Jahre in spanischen und französischen Gefängnissen bekam, sagt er nicht. Die ETA-Gründung liegt vierzig Jahre zurück, der Tod des Diktators Franco auch schon 22 – aber für de Madariaga hat sich nichts Grundsätzliches an der baskischen Situation geändert. „Vom Fluß Ebro in Richtung Süden ist heute Demokratie“, sagt er, „aber bei uns halten der Bürgerkrieg im Namen des Gesetzes, die Festnahmen, die Folter und sogar das Töten an.“ Trotzdem hat er vor über zehn Jahren die Notbremse gezogen und das baskische Wort „Aski“ gesagt – es reicht. Damals hatte der Mann aus der Gründergeneration bemerkt, daß sich die ETA „von der Realität des baskischen Volkes entfernte“. Sie hatte „keinen regelmäßigen Austausch mit der baskischen Gesellschaft“ mehr. „ETA ist nicht arrogant. Aber ihre Führer müssen immer weiter entfernt vom Baskenland leben – von Toulouse, Hamburg oder Paris aus läßt sich aber nur schwer einschätzen, was da passiert.“ Die sukzessiven Verhaftungswellen schließlich hätten dafür gesorgt, daß unerfahrene Leute an die Spitze der Organisation gelangten.

Wenn ETA noch immer ein „ziviles Hirn“ hätte, wäre es zu der Entführung von Miguel Ángel Blanco Garrido nicht gekommen, ist de Madariaga überzeugt. Zumal die Entführung auch noch just an dem Tag geschah, als eine Allparteienkommission des baskischen Parlaments mit einer gemeinsamen Klage gegen die gesetzwidrige Behandlung der ETA-Gefangenen in spanischen Gefängnissen nach Brüssel unterwegs war. Die Initiative, an der ETAs politischer Arm „Herri Batasuna“ federführend beteiligt war, ist inzwischen unbefristet verschoben.

Es tue ihm „im Herzen weh“, sagt de Madariaga, was die für den „Dienst am baskischen Volk geschaffene ETA“ heute tue. Als einzige Möglichkeit, ein Vakuum zu vermeiden, das „katastrophal für das Baskenland“ wäre, schlägt er jetzt einen vorübergehenden Waffenstillstand vor. Und einen Führungswechsel an der Spitze von Herri Batasuna.

De Madariaga, der seit 1987 nicht mehr der ETA angehört, hat sich keiner anderen politischen Organisation angeschlossen. Andere Mitglieder der frühen ETA-Jahre sind in die Richtung der spanischen Sozialdemokraten abgewandert, darunter Teo Uriarte und Mario Onaindia, die beide 1970 zur Todesstrafe verurteilt und von Franco nur auf internationalen Druck begnadigt wurden. Onaindia, heute Senator in Madrid, nennt die heutige ETA-Gewalt ein „komplexe Form des Faschismus, weil sie aus einer Organisation kommt, die gegen Franco gekämpft hat. Aber diese Leute haben nichts mehr mit uns gemeinsam.“

Bei ETA und Herri Batasuna kommen derartige Mahnungen kaum an. Für sie gilt die Generation der heute sämtlich über 50jährigen Ex-Etarras als Verräter. Und selbst wenn einige ETA-Kommandos aus 45- bis 50jährigen bestehen – das Sagen haben doch die knapp 30jährigen. „Da ist eine neue Generation an der Macht, die den Zyklus von bewaffnetem Widerstand und Gefängnis noch vor sich hat“, erklärt ein Kenner der Lage. „Wenn die Gründergeneration in der ETA geblieben wäre, würde sie heute verhandeln wollen“, glaubt Victor Aierdi Etxeberri, einer der beiden Koordinatoren der sozialen Bewegung „Elkarri“, die sich seit fünf Jahren um einen Dialog zwischen Regierung und ETA bemüht.

Seit die Konservativen in Madrid regieren, weiß Aierdi von keinem einzigen Kontakt mehr zwischen Regierung und ETA. Auf Initiative von Elkarri legten mehrere spanische und baskische Bischöfe der Regierung schriftliche Angebote für Verhandlungen mit den ETA-Entführern von Blanco Garrido auf den Tisch. Madrids Antwort während der dramatischen 48 Stunden lautete konsequent „no“.

Einen Ausweg aus dem baskischen Konflikt vermag Aierdi nicht zu erkennen, solange die Regierung ausschließlich auf „die Mobilisierung der Bevölkerung, die Isolierung von Herri Batasuna und die Verschärfung der Gesetze“ setzt. Ein Baskenland ohne die ETA erscheint Elkarri möglich und wünschenswert, nicht aber eines ohne die Herri Batasuna, die bei Wahlen an die 180.000 Basken mobilisiert, die nicht einfach vergessen werden können. Deswegen und weil die Gewalt ein Ende haben muß, verlangt Elkarri Verhandlungen – „auch in schwierigen Situationen wie jetzt“.