Stummer Moment eines Zwiegesprächs

■ Gesehen im Weser-Kurier: Ein raffiniertes Meisterwerk von Breughel'schem Format

wei Frauen sitzen beieinander. Die rechte Frau hat dunkelblonde Haare, die linke noch dunklere, fast schwarze. Die Dunkelblonde stützt sich mit angewinkelten Armen auf einem Tisch ab. Die fast Schwarzhaarige ist Trägerin einer Brille mit rahmenlosen Gläsern und hält ihre Hand zum Nacken hin am Hals. Zwischen ihnen liegt eine Handtasche auf dem Tisch. Beide schauen einander an.

Schon beim flüchtigen Hinsehen wird dem Betrachter deutlich, daß das Bild nach rechts hin flieht. Der angewinkelte Unterarm der fast Schwarzhaarigen bildet zusammen mit der Tischkante und geschickt im Bildhintergrund eingefügten geometrischen Mustern die Illusion eines weit außerhalb des rechten Bildrandes liegenden Fluchtpunktes. Der Künstler bezieht den Betrachter auf diese Weise ein in das in einem stummen Moment festgehaltene Zwiegespräch der beiden Frauen.

In der Tradition der Konstruktivisten stellt der Meister sein Hauptthema dar: Beide Frauen schauen einander nicht direkt, sondern aus den Augenwinkeln an. Die das Bild auf der Höhe des oberen Horizonts schneidende Linie wird durch das Weiß der Augäpfel an ihren Endpunkten auf markante Weise kontrastiert. Im Verein mit der auf dem Tisch liegenden Handtasche bildet diese Linie die Hypotenuse für die zentrale Triangel der Komposition – wie wir sie aus der bildenden Kunst seit der Renaissance kennen. Dennoch geht der Künstler hier auf subtile Weise weiter als seine Vorgänger: Auf die glänzende Fläche der Handtasche setzt er schillernde Lichtreflexe. Die Ruhe des in den angewinkelten Armen der fast Schwarzhaarigen gespiegelten Dreiecks wird gebrochen – sie scheint trügerisch. Mit dem reflektierenden Licht verführt der Künstler den Betrachter, sich den beiden dargestellten Frauen und ihrer gesellschaftlichen Stellung näher zu widmen.

Scheinbar dominiert die fast Schwarzhaarige das Bild. Die raumgreifende Anordnung ihrer Arme, die sportliche, geradezu hemdsärmelige Kleidung, die Uhr als einziges, vor allem zweckdienliches Schmuckstück und der aus einer Drehung des Kopfes herrührende Wurf der Haare sind die äußeren Symbole für eine dynamische Persönlichkeit. Doch auch hier täuscht der erste Eindruck.

Denn der Frau rechts räumt der Künstler zwar weniger Platz ein, doch er versteht es, sie zur eigentlich bestimmenden Person zu machen. Durch den Fluchtpunkt außerhalb des Bildrandes und die leicht erhöhte, durch das Abstützen auf dem Tisch dynamisierte Sitzposition verleiht der Künstler der rechten Frau ein Gewicht, das dem der linken nicht nachsteht. Ein schlicht-elegantes Kostüm und zum Teil darunter verborgener Schmuck an Ohr, Hals und rechtem Arm sind dem Künstler Ausdrucksmittel dafür, daß der gesellschaftliche Status der rechten Frau höher anzusiedeln ist. Damit nicht genug: Er schlägt sich hinter der Maske des Genremalers auf ihre Seite.

Die geometrischen Muster im Bildhintergrund weisen den Schlüssel zu den Beweggründen des Künstlers. Sie erinnern an Gitter und symbolisieren eine allgemeine Metapher für die Gefangenschaft des Menschen. Wer passiv ist, wird so gesichtslos bleiben wie die vielen Anonymen, die man hinter den Gittern zu ahnen glaubt.

Nicht so die beiden portraitierten Frauen.

Obzwar der Künstler die Frau links im Bild als sportlich und somit aktiv charakterisiert, zeigt er sie nicht als Vorbild. Durch die beinahe ungestaltete Frisur vertritt sie den Glauben, daß der Mensch an sich gut sei. Dagegen ist das Haar der anderen Frau durch Spray und Kamm modelliert, ihre ganze Erscheinung wirkt vollendeter, womit der Künstler zum Ausdruck bringt, daß der Mensch an sich arbeiten muß, um gut zu werden. Indem er den Fluchtpunkt nach rechts außen verlegt und so die Blicke des Betrachters immer wieder in Richtung der dunkelblonden Frau lenkt, formuliert der Künstler eine appellative Mahnung, es ihr gleich zu tun. Es handelt sich bei diesem Bild um ein zutiefst anrührendes Meisterwerk von Breughel'schem Format.

Stephan E. Mantik