Macht, Geld, Kunst und Neid

■ Eine Ausstellung erinnert an das Alsenviertel, einst das prächtigste Quartier Berlins

1918 war ein schlimmes Jahr für die Bewohner und Bewohnerinnen des Alsenviertels: Von ihrem Balkon aus mußten sie zusehen, wie Philipp Scheidemann die Republik ausrief, der alte Königsplatz wurde in Platz der Republik umbenannt, und auf dem Reichstag wehte nun eine schwarzrotgoldene Flagge. Hier am Spreebogen residierte die deutschnationale Adelskaste, die Revolutionen für genauso vulgär hielt wie die Hitze im August. Sie machte das Alsenviertel zu dem wohl exklusivsten und prächtigsten Quartier Berlins.

Seit fünfzig Jahren sind dessen Trümmer unter der Grasnarbe vor dem Reichstag verwachsen. Vor einem halben Jahr wurde mit den Bauarbeiten für das Bundeskanzleramt und das Abgeordnetengebäude, den sogenannten Alsenblock, begonnen. Deswegen hat auch das Bezirksamt Tiergarten in Trümmern gewühlt und erinnert im Rahmen einer Ausstellung zur „Baustelle Tiergarten“ an das frühere Alsenviertel. Die Foto-Dokumentation „Alsen – Ein Name kehrt zurück“ von Jürgen Karwelat und Kirsten Hoffmann zeigt die Geschichte eines Quartiers, dessen selbstbewußte Pracht im damaligen Berlin einzigartig war.

Erschlossen wurde das Gebiet nach dem preußischen Sieg im deutsch-dänischen Krieg. Bis dahin hatte die Sandwüste den preußischen Regimentern als Exerzierplatz gedient. Doch nicht nur mit einer Siegessäule sollte die Eroberung der Insel Alsen im Stadtbild dokumentiert werden, sondern mit einem ganzen Stadtviertel. Die Militärs Moltke, Hindersin und Roon waren die Namenspatronen für die neuen Straßenzüge.

Geld, Macht und Kunst drückten hier dem aufstrebenden Berlin ihren Stempel auf. Bankdirektoren, Rittergutsbesitzer und die preußische Generalität ließen sich hier prächtige und reichverzierte Villen bauen. Wahre Paläste mit ausgiebigen Ornamentierungen beherbergten Botschaften und Konsulate. Das mondänste Gebäude war das spanische Generalkonsulat mit seiner statuengeschmückten klassizistischen Fassade. Erhalten ist heute nur noch die Schweizerische Gesandtschaft, die die Bomben als auch den Zugriff der Nazis überstand.

Denn nur ein Teil des Alsenviertels war durch Bombenangriffe während des Zweiten Weltkrieges zerstört worden. Für ihre gigantomanischen Pläne einer Welthauptstadt hatten die Nazis das Viertel dem Reißbrett des „Germania“- Architekten Albert Speer geopfert. Obwohl der Großteil der Alsen-Bourgeoisie Sympathien für den neuen Militarismus der Nazis hegte, fand sie keine Gnade. Joseph Goebbels, der alle haßte, die er beneidete, agitierte gegen die „hauchdünne reaktionäre Oberschicht“. 1938 wurde mit den Abrißarbeiten begonnen.

Hier wollte Speer die monströse „Große Halle“ errichten, einen Kuppelbau mit einem Durchmesser von 250 Metern und einer Höhe von 290 Metern. Wieviel Neid der Reichtum des Alsenviertels in Berlin hervorgerufen haben muß, läßt sich aus der Häme schließen, mit der seine Zerstörung noch nachträglich kommentiert wurde. Im Jahr 1946 titelte der Tagesspiegel: „Hochmut kommt vor dem Fall.“ Thekla Dannenberg

„Alsen – Ein Name kehrt zurück“ und „Baustelle Tiergarten“, bis 7. September in der Galerie Nord im Brüder-Grimm-Haus, Turmstr. 75, Di. bis Fr. und So. 12–17 Uhr