Arbeitssenatorin bricht Tarifvertrag

■ ABM-Arbeiter des Landes sollen nur noch 80 Prozent des Normallohns bekommen. Gewerkschaft ÖTV: „rechtswidrig“. Das Land müsse den Tarifvertrag einhalten, sagt Arbeitsrecht-Professor Adomeit

Die Gewerkschaft ÖTV wirft Arbeits- und Frauensenatorin Christine Bergmann (SPD) den Bruch eines gültigen Tarifvertrages vor. In neu abgeschlossenen Arbeitsverträgen mit ABM-ArbeiterInnen reduziert Bergmanns Verwaltung die Lohnzahlung auf 80 Prozent der Summe, die Land und Gewerkschaft im Tarifvertrag von 1991 festgelegt haben. Die Kürzung spart der Arbeitsverwaltung viel Geld. Würden alle 2.500 ArbeiterInnen zurückgestuft, müßte das Haus Bergmann monatlich etwa 1,4 Millionen Mark weniger zahlen.

„Das ist rechtswidrig“, erklärt ÖTV-Sprecher Ernst-Otto Kock. Vor sechs Jahren waren sich die Tarifparteien einig, daß beim Land beschäftigte gewerbliche ArbeiterInnen auf ABM-Basis den gleichen Lohn erhalten sollten, den auch Unternehmen der Privatwirtschaft zahlen. Von diesem Prinzip verabschiedet sich die Verwaltung nun. Alle rund 2.500 ABM-ArbeiterInnen der Bezirke und des Landes, die vor allem Grünflächen und Wälder pflegen, sollen nach und nach die neuen Arbeitsverträge von Bergmanns Behörde erhalten. Ein Vertrag mit reduzierter Lohnhöhe liegt der ÖTV bereits vor. Wie viele Vereinbarungen zu den veränderten Bedingungen bereits abgeschlossen wurden, können weder Gewerkschaft noch Arbeitsverwaltung sagen. Für einen Gärtner schlägt die Kürzung seines Lohnes von bisher etwa 3.000 Mark brutto mit 600 Mark pro Monat zu Buche.

ÖTV-Sprecher Kock bezeichnet das Verhalten der Arbeitsverwaltung als „Doppelmoral“. Entgegen der Politik der Bundesregierung habe sich Senatorin Bergmann öffentlichkeitswirksam dafür eingesetzt, daß auch ABM-Beschäftigte weiterhin die volle Lohnfortzahlung bei Krankheit erhalten. Jetzt jedoch würden die tariflichen Regelungen unterhöhlt.

Bergmanns Staatssekretär Peter Haupt (SPD) gibt der ÖTV Kontra: „Es kann keinen Tarifvertrag geben, der das Gesetz aushebelt.“ Haupt verweist auf das neue Arbeitsförderungsreformgesetz, das seit April bundesweit in Kraft ist. Darin sei festgelegt, daß ABM- Beschäftigte höchstens 80 Prozent des Lohnes von normalen ArbeitnehmerInnen bekommen dürften. Die ABM-Beschäftigten von sozialen Trägern müssen sich deshalb neuerdings mit weniger Lohn zufriedengeben. Die Bundesregierung will das Lohnniveau allgemein senken, um den Unternehmen die Einstellung von Arbeitslosen schmackhaft zu machen.

Klaus Adomeit, Professor für Arbeitsrecht an der Freien Universität, freilich sieht die Sache anders als die Arbeitsverwaltung: „Die Gewerkschaft hat recht.“ Das Land müsse sich an den 1991 geschlossenen Tarifvertrag halten – oder ihn kündigen. Aber das ist bislang nicht geschehen. Adomeit meint, daß das 80-Prozent-Gesetz die Förderung der AB-Maßnahmen durch die Bundesanstalt für Arbeit regele, nicht aber die Gehaltszahlung durch das Land. Die zu vereinbaren sei Sache der regionalen Tarifpartner.

In diese Richtung argumentiert auch Rechtsanwalt Stefan Hölz, der sich mit Arbeitsrecht beschäftigt: „Tarifverträge können von Gesetzen abweichen“, indem sie bessere Bedingungen für die Beschäftigten garantieren.

Die ÖTV empfiehlt den betroffenen ArbeiterInnen nun, den Tariflohn bei der Arbeitsverwaltung schriftlich geltend zu machen. Gibt die Behörde nicht nach, können ABM-Beschäftigte vor das Arbeitsgericht ziehen. Hannes Koch