Gegen den guten Geschmack

„Arme-Leute-Maler“ und Porträtist der Oberschicht, Gründer der Secession und Präsident der Akademie der Künste: Die Ausstellung zum 150. Geburtstag des Malers Max Liebermann in der Berliner Alten Nationalgalerie  ■ Von Ulrich Clewing

Es gibt ein Foto aus dem Jahr 1872, das den 25jährigen Max Liebermann als Studenten in Weimar zeigt. Man sieht einen jungen Mann in weißen Hosen, das schwarze Jackett und die Weste sind von hellen Bordüren eingefaßt, in der einen Hand hält er Spazierstock und Hut, die andere ist lässig in die Seite gestützt. Kein Zweifel: ein Sohn aus wohlhabendem Hause, selbstbewußt, beinah geckenhaft, mit einem Blick, der beunruhigend unternehmungslustig wirkt.

Etwa zur selben Zeit hatte Liebermann zum erstenmal eines seiner Gemälde öffentlich ausgestellt. „Die Gänserupferinnen“ lösten im beschaulichen Weimar einen veritablen Skandal aus. Bäuerinnen bei mühseliger Arbeit darzustellen war damals ein Affront, ein unerhörter Verstoß gegen den „guten Geschmack“. Das Bild fand trotzdem einen Käufer: Bethel Strousberg, der wie die Liebermanns zum jüdischen Großbürgertum Berlins gehörte.

Rund 100 Gemälde, ebenso viele Aquarelle und Zeichnungen sowie eine große Anzahl historischer Fotos haben die Staatlichen Museen zusammengetragen, um den 150. Geburtstag Liebermanns gebührend zu feiern. Es ist ein Festmahl geworden. So vollständig und ansprechend arrangiert waren die Werke dieses Künstlers schon lange nicht mehr zu sehen. Und nicht nur das: Auch der Lebensweg Liebermanns, sein kulturpolitisches Engagement als Vorsitzender der Berliner Secession und ab 1920 als Präsident der Akademie der Künste bis zum freiwillig unfreiwilligen Austritt 1933 werden ausführlich behandelt.

Max Liebermann wurde am 20.Juli 1847 als zweites von vier Kindern des jüdischen Fabrikanten, Großkaufmanns und Stadtverordneten Louis Liebermann und dessen Ehefrau Phillipine in Berlin geboren. Schon früh wird sein außerordentliches zeichnerisches Talent entdeckt und gefördert. Gleichwohl: Als es an die Berufswahl ging, stieß Max mit seinem Wunsch, Maler zu werden, auf taube Ohren. Notgedrungen schreibt er sich an der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität ein. Nebenher nimmt er Zeichenunterricht beim Maler Steffeck und „malte und zeichnete, was gerade kam, Pferde, Menschen, Hunde“. Bald war klar, daß es so nicht weiterging. „Ich war von der Unzulänglichkeit meiner Ausbildung so durchdrungen“, schrieb Liebermann rückblickend, „daß ich 1869 nach Weimar ging.“ Auf der dortigen Kunsthochschule begann er systematisch zu studieren, ansonsten lebte er weiterhin standesgemäß: Seine „Studentenbude“ lag direkt gegenüber von Goethes Wohnhaus am Frauenplan.

Mit dem Erlös aus dem Verkauf der „Gänserupferinnen“ finanzierte er 1873 eine Reise, die ihn nach Paris und Barbizon führte, wo die Landschaftsmaler Constant Troyon, Camille Corot, Charles François Daubigny und Jean- François Millet arbeiteten. Drei Jahre später fährt Liebermann zum erstenmal nach Holland, um die Gemälde der niederländischen Meister des 17. Jahrhunderts zu kopieren, allen voran von Frans Hals, dessen lockere Malweise ihn besonders fasziniert. Er geht in die Amsterdamer Kleinkinderschule, in Waisenhäuser, Hospitäler und zu den Bauern aufs Land, was ihm zu Hause endgültig den Ruf des „Arme-Leute-Malers“ einbringt.

Doch Liebermann schert das wenig. Auf die Frage nach seiner Vorliebe für „unwürdige“ Bildthemen antwortet er, der der Obrigkeit zeit seines Lebens – gelinde ausgedrückt – skeptisch gegenüberstand, der Bismarck verabscheute und Ferdinand Lassalle bewunderte: „Am Küchentisch sitzen Kuhhirt, Mädchen, Knecht, Herrschaft, alle beisammen und essen aus derselben Schüssel. Alles duzt sich wie eine große Familie...“

In den neunziger Jahren entdeckt Liebermann die Malerei der französischen Impressionisten für sich, die Farbpalette wird heller, freundlicher. Sein 1893 entstandenes Gemälde „Biergarten in Brannenburg“, das 1895 – welch Ehre und Bestätigung – vom Pariser Musee du Luxembourg (heute Musee d'Orsay) erworben wird, markiert den Beginn eines immer freieren Umgangs mit der Malerei. Mehr und mehr verlieren die einzelnen Motive an Bedeutung zugunsten des rein Malerischen. Liebermann, so scheint es, läßt dem Material seinen Lauf. Er mischt, spachtelt, verreibt die Farbsubstanzen, daß man den Eindruck gewinnt, sie – und nicht das im engeren Sinn Dargestellte – seien die Hauptsache des Bildes. Gleichzeitig entwickelt er sich zu einem gefragten Porträtisten. Virtuos in der Pinselführung, mit feinem psychologischen Einfühlungsvermögen begabt, gelingt es ihm, einerseits dem Repräsentationsbedürfnis seiner Auftraggeber zu entsprechen, andererseits den Charakter des Gegenübers durchaus entlarvend sichtbar zu machen.

Die wachsende Anerkennung, die Liebermann erfährt, bedeutet jedoch nicht, daß er fortan keine Widerstände mehr zu überwinden gehabt hätte. Im Gegenteil: Der Impressionismus galt damals bei weiten Teilen des Kunstpublikums als unwürdige Schmiererei. Damit nicht genug: 1898, Liebermann ist seit einem Jahr Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, werden auf der Großen Berliner Kunstausstellung sowohl Käthe Kollwitz' Zyklus „Der Weberaufstand“ als auch der „Grunewaldsee“ von Walter Leistikow abgelehnt. Liebermann tritt wieder aus der Akademie aus und gründet die Berliner Secession. Als rund zehn Jahre später der Expressionismus aufkam, stieß Liebermanns bürgerliche Liberalität freilich an ihre Grenzen. 1911 legt er den Vorsitz der Secession nieder. Daß dieses Kapitel in der Ausstellung nur am Rande vorkommt, mag eine Unterlassung sein, die die Widersprüche in Liebermanns Person unzulässig verkürzt. Die Staatlichen Museen werden sich gedacht haben, de jubilaribus nihil nisi bene.

Bis 26.10., Katalog 39 DM