■ Nordirland: IRA bietet einen neuen Waffenstillstand an
: Union ohne unionistische Herrschaft?

Die IRA hat einen neuen Waffenstillstand verkündet. Das war überfällig. Daß er unter der Hand auf vier Monate begrenzt ist, läßt allerdings nicht viel Raum für Optimismus. Was kann Gerry Adams vom politischen IRA-Flügel Sinn Féin in den zehn Wochen nach Beginn der Mehrparteiengespräche Mitte September erreichen? Ein Ende der britischen Besetzung Nordirlands, wie es die Verfassung der beiden Organisationen fordert, ist nicht im Angebot.

Der unionistische Politiker Ken Maginnis fragte zu Recht, ob Sinn Féin und IRA plötzlich bereit seien, eine Lösung, die die langfristige Teilung Irlands beinhaltet, zu akzeptieren? Dieser Frage muß sich das Sinn-Féin-Verhandlungsteam stellen, wenn es am Runden Tisch sitzt. Adams hat sich in diese Situation hineinmanövriert, indem er Sinn Féins Teilnahme an den Mehrparteiengesprächen zum Allheilmittel erklärt hat, statt parallel auf konkrete Maßnahmen, zum Beispiel in der Gefangenenfrage oder bei der Polizeireform, zu drängen. Jetzt muß er sich von seinen eigenen Leuten an den Ergebnissen messen lassen, die am Runden Tisch erzielt werden.

Dafür sind zehn Wochen kurz. Bricht die IRA den Waffenstillstand Ende November erneut, kann es sich für lange Zeit keine britische oder irische Regierung leisten, mit Sinn Féin zu verhandeln. Der bewaffnete Konflikt wäre für Generationen festgeschrieben.

Aber auch David Trimble, der Vorsitzende der größten unionistischen Partei, steckt in der Zwickmühle. Er war sich sicher, daß er Blair zu einem Deal bewegen könnte, der für IRA und Sinn Féin inakzeptabel sei. Dann wäre man bei den Verhandlungen unter sich gewesen und hätte die katholischen Sozialdemokraten mit ein paar kleineren Zugeständnissen abspeisen können. Doch Blair hat sich, anders als Major, darauf nicht eingelassen, da er auf die Unionisten im Unterhaus nicht angewiesen ist.

Trimble hat nun zwei Möglichkeiten: Läßt er die Gespräche scheitern, gilt er als Spielverderber. Akzeptiert er dagegen die vage formulierte Übereinkunft über die Ausmusterung der IRA-Waffen, gehen ihm die Hardliner im eigenen Lager an den Kragen. In dem Dilemma von Trimble und Adams liegt freilich auch eine Chance. Beide Seiten wissen, daß es an der Union Nordirlands mit Großbritannien vorerst nichts zu rütteln gibt. Verbesserungen sind nur innerhalb des Status quo möglich. Doch sind die Unionisten bereit, weitgehende Zugeständnisse an die katholische Minderheit zu machen? Gibt es überhaupt eine Union ohne unionistische Herrschaft? Ralf Sotscheck