■ Nebensachen aus Madrid
: Jagdszenen in Nordspanien

Regieren ist Streß. Da muß ein Hobby her, das die überschüssige Energie und aufgestaute Aggressivität in geordnete Bahnen lenkt. Was ist da geeigneter als die Jagd? Seit neuestem wendet sich auch der spanische Regierungsvize Francisco Alvárez Cascos diesem ältesten Gewerbe des Mannes zu.

Alvárez Cascos scheut dabei keine Kosten. 3.000 bis 5.000 Mark für die Abschußgenehmigung einer einzigen Gemse ist dabei ein durchaus gängiger Preis. Während die Ehefrauen dem Konsumrausch in Andorra erliegen, pirscht der Stellvertreter von Regierungschef José Maria Aznar durch die Pyrenäenwälder, zuletzt in Begleitung des berühmten Stierkämpfers Enrique Ponce. Der Waldhüter, der das Spektakel und die Abschußquote im Auftrag der Gemeindeverwaltung überwachte, wurde schriftlich zum Schweigen verpflichtet. Im gegenteiligen Fall drohte ihm Lohnabzug.

So weit, so gut, hätten nicht die Sozialisten, die bis vor einem Jahr das Land regierten, ein weitflächiges Netz aus Naturschutzparks hinterlassen, in denen das Jagen verboten ist. Das hinderte den Sprecher des katholischen Radios COPE, Antonio Herrero, der mit seinen Programmen nicht unerheblich zum Sieg der konservativen Partido Popular vor etwas mehr als einem Jahr beitrug, und den Direktor der staatlichen Eisenbahn RENFE, Miguel Corsini, nicht daran, im größten Park, den „Gipfeln Europas“ im Norden des Landes, auf die Pirsch zu gehen. Als die beiden von Wächtern des Naturschutzgebietes mit einer toten Gemse gestellt wurden, zauberten sie eine Abschußlizenz aus dem Rucksack, ausgestellt, abgestempelt und bezahlt bei der autonomen Regionalverwaltung von Castilla León, in der sich der heutige Chef der Zentralregierung, José Maria Aznar, die ersten politischen Sporen als Ministerpräsident verdiente.

Die Madrider Umweltministerin Isabel Tocino löste den Fall auf ihre Art: Anstatt die konservative Regionalregierung wegen des Verstoßes gegen das Naturschutzgesetz zu maßregeln, wurde der noch von den Sozialisten eingesetzte Direktor des Parks entlassen. Die Begründung: „Gestörtes Vertrauensverhältnis“. Eine geplante Gesetzesreform soll künftig solche Mißverständnisse im voraus ausschließen. Die Jagd wird sowohl in den „Gipfeln Europas“ als auch in der südspanischen Sierra Nevada ausdrücklich erlaubt sein.

Spaß machen solche Hobbys fernab der Zivilisation nur, wenn die Einsamkeit verkehrstechnisch einigermaßen erschlossen ist. Deshalb genehmigt Tocino gleich auch den Bau einer Straße durch den Park in den Pyrenäen. Die Umweltschützer protestieren, aber das interessiert die Madrider Regierung ebensowenig wie der Mißmut der Verbraucherverbände angesichts eines anderen Großprojekts, dem Bau von mautpflichtigen Autobahnen. „Die dienen dazu, daß die Reichen besser reisen können und die nicht ganz so Reichen von leereren Landstraßen profitieren“, verteidigte ein konservativer Abgeordneter das Projekt. Von Madrid bis in die Jagdgründe ist es weit, doch die Konservativen haben zum Glück an alles gedacht. Reiner Wandler