■ Geheimnisse aus dem Innern der Waschmaschine
: Die Sockenfrage

Es gibt bekanntlich Fragen der Menschheit, an denen bislang noch ein jeder scheiterte: die Originarität von Huhn und Ei etwa. Oder warum Frauen beim Fußball das Abseits nicht verstehen wollen und Männer ignorieren, daß diese Behauptung eine Erfindung von ihnen ist.

Die größte aller ungelösten Fragen aber lautet: Warum verschwindet in unseren Waschmaschinen eigentlich so gern und so oft ein Socken? Positivistischer formuliert: Warum hat man nach jeder Wäsche einen Socken übrig? Und schließlich: Wo ist der fehlende Socken geblieben? Kann er je wieder auftauchen? Materialisiert er sich neu in einer Parallelwelt? Ist der Sockenschwund dann gar ein Beweis für deren Existenz?

Es gibt Menschen, die verzweifelt versuchen, den Schwund zu verhindern: zum Beispiel durch Verbandelung zusammengehöriger Socken mit einer Wäscheklammer; danach ist neben einer Socke auch die Klammer weg, oder die Klammer ruiniert die Trommel. Viele Frauen berichten, ihnen kämen gern die Bügel ihrer BHs abhanden und klapperten und rosteten dann im Maschineninnern herum. Alles Ablenkungsmanöver: Nur der Socken zählt. Und der gerät abhanden. In allen Programmen und Maschinenmarken, bei 30 und 60 Grad und 95 Grad, mit und ohne Ultra Pearls. Angelegentlich findet sich, wie zum Hohn, ein Einzelsocken im Innern eines Bettlakens wieder. Umgehend stöbert man wie von Sinnen alles Bettzeug durch, ohne Erfolg natürlich. Man kann seine Socken vor dem Schließen der Klappe auch besprechen und beschwören. Nutzt nichts: Gerade Lieblingssocken mögen diese Anbiederei gar nicht und rächen sich mit Nimmerwiedersehen.

Besser ist es, vor jedem Waschgang prophylaktisch Abschied zu nehmen. Man kann über das Phänomen auch philosophieren: Ist der ständige Sockenschwund Sinnbild für die Trennung einer Paarbeziehung, für die Singleiesierung unserer Gesellschaft gar? Oder konsumkritisch sinnfragen: Hat man am Ende wirklich einen Socken zuwenig, nicht vielleicht einen zuviel... Man kann verschwörungspraktisch die böse Industrie geißeln: Eingebauter Verschleiß ist bekanntlich in allen Branchen wichtiger Konjunkturmotor. Automatischer Gelegenheitsschwund wäre da genauso sinnvoll. Wer, wie die Wäscheindustrie, T- und Sweatshirts unerträglicherweise so webt, daß sie bis zur Untragbarkeit einlaufen, dem sind auch alle Hinterhältigkeiten im Sockensektor zuzutrauen. Nur: Wie machen sie das? Ferngesteuert? Lösen sich die Socken auf, oder kuscheln sie sich zu einem Knäuel zusammen? Wo? In unbekannten Hohlräumen trommeleinwärts? Gestapelt im Flusensieb?

Vor einigen Wochen widmete sich das Magazin der Süddeutschen Zeitung eben dieser Sockenfrage in der Rubrik „Rätsel des Alltags“. Wer wagt sich als Experte an die Lösung? Wie würde sie aussehen? Eine Woche heftigen Bangens folgte. Dann die Antwort von Chaosforscher Lee James Awenflow aus Santa Fé. Er kommt mit Sanskrit und Lenin: Die Materie Socke verschwinde gar nicht, schreibt er, sie verwandele sich nur. Alles also ein Wahrnehmungstrugschluß: ein Socken oder zwei oder drei oder zehn – das sei alles das gleiche. Nämlich ein Socken. Sensationell! Allerdings bleibt es, zum Glück, bei zwei Füßen für den einen Socken. Und da paßt dann doch irgend etwas nicht! Ein Fuß zuviel? Abhacken? In den Vollwaschgang? Gelogen gewesen kann die Antwort nicht sein – das Rätsel sei garantiert von jedem Fake ausgenommen, schrieb das Magazin. Wat nu??? Immer verwirrter grüßt, z. Zt. siebenfach einzelbesockt Bernd Müllender