Verseuchtes Haschisch

Udo Ulfkotte hat mit „Verschlußsache – BND“ einen Reißer für Verschwörungstheoretiker verfaßt  ■ Von Wolfgang Gast

Der Autor hat „Brisanz pur“ versprochen, neue Erkenntnisse über und tiefe Einblicke in den Pullacher Bundesnachrichtendienst (BND) will er vorlegen. 368 Seiten umfaßt das Werk mit dem Titel „Verschlußsache – BND“, und schon auf den ersten Seiten läßt es Udo Ulfkotte, im Hauptberuf Journalist für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, ganz ordentlich krachen. Der frühere CDU- Ministerpräsident in Schleswig- Holstein, Uwe Barschel, hat keineswegs Selbstmord begangen. Er wurde ermordet, der Geheimdienst wisse dies. Weiter: Die Ukraine erpresse die Bundesrepublik mit der Drohung, radioaktiv verseuchtes Haschisch auf den Markt zu werfen, und Italien soll den Beitrittskandidaten für die Nato Unterstützung zugesagt haben, wenn diese im Gegenzug den Einzug Deutschlands in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhinderten.

Dr. Ulfkotte weiß nicht nur politisch Hochbrisantes zu berichten. Auch die Meldungen, wonach der amerikanische Bandleader Glenn Miller 1944 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist, sind nichts anderes als gezielte Desinformationen der Geheimdienste. Tatsächlich sei der Jazzmusiker einem Herzanfall erlegen, in Paris, in einem Bordell und in den Armen einer Hure. Die Wahrheit wurde unterdrückt, aus Furcht um die Moral der Truppe.

Bei der Geschichtsschreibung beläßt es der Autor nicht. Zum Beispiel die „Operation Herzenswunsch“: Die im letzten Herbst nach Moskau entsandten deutschen Herzspezialisten sollten nur in zweiter Linie bei der komplizierten Bypassoperation des russischen Präsidenten Boris Jelzin assistieren. Aus der Sicht des BND, schreibt Ulfkotte, sei es darum gegangen, „aus erster Hand zu erfahren, wie krank der Präsident in Wirklichkeit war“, und ob man sich bereits Gedanken über mögliche Nachfolger zu machen hätte.

Udo Ulfkotte führt die LeserInnen auch in die technische Welt der Geheimdienste. Er erzählt, wie der BND Funktelefone zu Abhörmikrophonen umfunktioniert, und wie der Dienst mit Stichworten weltweit den elektronischen Datenaustausch überwacht und auswertet. Nebenbei fließt ein, daß der Bundesnachrichtendienst, gespickt mit den Informationen befreundeter Dienste, eine „Negativkartei“ mit Erkenntnissen über sexuelle Abenteuer bundesdeutscher Abgeordneter im Ausland führt. Der Autor vergißt auch nicht zu erwähnen, daß die von ihm enthüllten Vorgänge natürlich von den Verantwortlichen dementiert werden (müssen).

Wer so schreibt wie der 37jährige FAZ-Autor, kann mit Widerspruch, Dementis oder Richtigstellungen bestens leben. In der Welt der Geheimdienste wird den Schlapphüten allerhand zugetraut, öffentliche Aufklärung ist tabu, der Rechtsbruch im Sinne der Staatsräson wird geradezu erwartet. Was nutzt es schon, wenn die nach Moskau entsandten Mediziner eine BND-Tätigkeit empört zurückweisen, wenn der persönliche Pilot des Bandleaders ausschließt, daß Glenn Miller an seinem Todestag überhaupt in Paris gewesen ist, oder wenn die Bundesregierung in einem Verfahren vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht die dem BND auch von Ulfkotte zugeschriebenen technischen Überwachungsmöglichkeiten als maßlos übertrieben bezeichnet?

In der trüben Welt der Spionage sind gesicherte Erkenntnisse ein rares Gut, der Grundsatz gilt, immer von der schlechtesten Möglichkeit auszugehen. Unter Verschwörungstheoretikern wird „Verschlußsache – BND“ daher reißenden Absatz finden. Und die Pullacher Behörde leistet Hilfe. In einer Stellungnahme erklärt deren Pressestelle, „daß einzelne Ausführungen des Buches unter Umständen dazu beitragen können, daß Quellen des Dienstes mit Leib und Leben gefährdet werden, langjährige Aufklärungsarbeit zunichte gemacht und der Bundesrepublik Deutschland außenpolitischer Schaden zugefügt wird“. So läßt sich ein Buch auch adeln.

Ein bezeichnendes Licht auf die Glaubwürdigkeit der Angaben wirft Ulfkottes Umgang mit dem von ihm behaupteten Barschel- Mord. Am 11. Oktober vor zehn Jahren wurde er in der Badewanne des Genfer Hotel Bon Rivage tot aufgefunden. Schlampereien und Ungereimtheiten kennzeichneten das anschließende Ermittlungsverfahren. Noch heute geht in Kiel ein Staatsanwalt der Vermutung nach, ob es sich – anders als von den Schweizer Behörden festgestellt – nicht vielleicht doch um Mord statt Selbstmord gehandelt hat. Ulfkotte widmet der Frage, über die andere Journalisten ganze Bücher geschrieben haben, gerade einmal eineinhalb Seiten. Zentrale These: „Geheimdienste kennen die Hintergründe des Barschel-Todes. Barschel wurde ermordet.“ Es wird nicht einmal klar, welchen Geheimdienst der Autor meint. Wenige Zeilen später behauptet Ulfkotte, „in der Mordnacht soll sich nach Angaben eines ranghohen Bonner Beamten mindestens ein BND-Mitarbeiter der Abteilung I (operative Aufklärung) in Barschels Hotel aufgehalten haben, möglicherweise sogar mehrere.“ Was der oder diese Beamte dort suchten, bleibt im dunklen. Zu erfahren ist dagegen, daß dem ranghohen Bonner Beamten in einem anonymen Telefonat mit Hinweis auf „die hohe Zahl der Verkehrstoten in Deutschland“ gedroht wurde. Von einem Kollegen um konkrete Belege gebeten, mußte Ulfkotte im Anschluß an die Buchvorstellung am 10. Juli passen. Der Focus-Redakteur zitiert Ulfkotte mit der Aussage, die Mordthese sei ihm in sein Buch „hineingerutscht“.

„Verschlußsache – BND“ ist im übertragenen Sinn eine der vielen geheimdienstlichen Pannen, die der Autor in seinem Buch auflistet. Ulfkotte hatte, das läßt sich auch an seiner Berichterstattung in der FAZ nachzeichnen, einen Zugang zur Pullacher Behörde und deren Dienstaufsicht im Bonner Kanzleramt, wie er nur wenigen Journalisten gewährt wird. Der in der Vergangenheit von allerlei Krisen geschüttelte Dienst unterstützte das Projekt offenbar in dem Glauben, das Ergebnis werde sein ramponiertes Image aufpolieren. Die jetzt vorgelegte krude Mischung aus Altbekanntem, aus Übertreibungen, aus einigen tatsächlichen Neuheiten und etlichen schlicht nicht nachvollziehbaren Aussagen hilft dem BND nicht weiter. Für solche Malheure gibt es unter den Geheimdienstlern ein geflügeltes Wort: „Die Operation ist aus dem Ruder gelaufen.“

Udo Ulfkotte: „Verschlußsache – BND“, Koehler & Amelang, München 1997, 368 S., 48 DM