18 Minuten Wagnis

■ Lichthaus zeigt Gruppenkunst zum Thema Reise

Eine Straßenbahnreise von der Domsheide in der Bremer Innenstadt zum Lichthaus in der Nähe der Haltestelle Use Akschen in Gröpelingen dauert nach Fahrplan 18 Minuten. In diesen 18 Minuten verändert sich das Gesicht der Stadt rapide. Statt der Konsumtempel der City sind plötzlich Schlangen von schweren Lastern, halb abgerissene Werfthallen und Berge von Geröll und Kies zu sehen. Es ist gewagt, hier Kunst zu zeigen. Wer's – wie jetzt der Lichthausverein in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für aktuelle Kunst (GAK) – trotzdem macht, setzt sie zwischen all' den anderen Reizen der umliegenden Industrielandschaft einer harten Konkurrenz aus.

„And still the ship is not in sight“heißt das von einer bunt gemischten KünstlerInnengruppe initiierte Projekt, für das sich schließlich 17 junge KünstlerInnen aus Griechenland, Deutschland, Italien, Spanien und den USA zusammenfanden. Vor Bremen machten sie in Thessaloniki Station, wollen dann weiter nach Neapel und New York streben, womit allein durch die Ausstellungsorte Thema und Metapher umrissen sind: Das der Hafenstadt und der Reise.

Ein halbes Dutzend Stufen trennt den größten Ausstellungsraum von der surrealen Außenwelt. Durch die Fenster dröhnt der Lärm der Straße. Bizarre, leise, wohl mit Cello und/oder Violine erzeugte Töne gesellen sich hinzu. Über eine Blechkiste kreist der Rotor eines Radars. Auf einem Sofa das Benneton-Werbung gewordene Plakat der albanischen Schiffsflüchtlinge. Der Lärm von draußen wird leiser, aber verklingt nicht.

Der Begriff der Reise ist bei diesem vom Kulturprogramm „Kaleidoskop“der Europäischen Union geförderten Projekt postmodern weit gefaßt. Das Konzept einer Reise sei schon immer inspirierend gewesen, schreibt die griechische Kuratorin Katerina Koskina im Katalog – allein heute gelte Marshall McLuhans Begriff vom globalen Dorf. Folglich denkt sie Space und Cyberspace hinzu – und ist nicht allein damit.

Wenn alle Welt mit dem Marsmobil Sojourner mitfühlt, darf das Außerirdische nicht fehlen. So behauptet ein Teilnehmer Plastikschläuche und Apparaturen als Hinterlassenschaften von UFO's ins Lichthaus. Ähnlich unbekümmert lebt hier und dort der Fluxus wieder auf – und ab. Oder es verlieben sich – wie's KünstlerInnen nun mal tun – einige Beteiligte in die noch immer von Verfallsspuren gezeichnete Architektur des imposanten Gebäudes. Was ansehbar ist, doch als Reisemotiv noch nicht langt.

Anders Eva Vretzakis Fotosammlung von Kontaktanzeigen aus dem Internet – trotz zeichnerischer Unkenntlichmachung der Gesichter schockiert der Grad der Entblößung oder gar Entblödung auf diesen Bildern.

Doch es sind ausgerechnet die Cello-Geigen-Klänge, die schließlich wie magnetisch anziehen. Sie kommen von Kerstin Weibergs und Richard Schütz' Multimedia-Objekt. Vielleicht sehr deutsch, vielleicht auch trotzdem sehr gut fügt das Duo virtuelle Bilder, gesampelte Töne und echte Zitate zu einer Auseinandersetzung mit der Judenvertreibung zusammen. Unmerklich lassen diese leisen Klänge die laute Außenwelt verstummen. ck

„And still the ship is not in sight“bis 16. August im Lichthaus; geöffnet: Di, Mi, Do, So von 12 bis 16 Uhr; Katalog zehn Mark