Grüne planen „Operation Wechsel“

Der erste hauptamtliche Parteivorstand der Bündnisgrünen wird im Herbst Reformprojekte für die Stadt präsentieren. Sozial- und Arbeitsmarktpolitik haben höchste Priorität  ■ Von Dorothee Winden

„Man hat das Gefühl, 3.200 Arbeitgeber zu haben, die ganz kiebig gucken, ob es auch funktioniert“, sagt Birgit Daiber, Mitglied des vor fünf Wochen neugewählten grünen Parteivorstandes. Der Erwartungen an die ersten bezahlten Parteivorstände sind sehr hoch – nicht nur von seiten der 3.200 Mitglieder. Nichts Geringeres als die „Operation Wechsel“, die Ablösung der Großen Koalition bei den nächsten Wahlen, haben sich die Grünen vorgenommen.

Allerdings blieb das vom vorigen Vorstand initiierte „Regierungsprogramm“ erst mal im innerparteilichen Getriebe stecken: Der Parteitag mahnte im Juni eine Überarbeitung an. Bis zum Herbst soll nun an dem Papier gefeilt werden. Ein Beschluß wird erst im Januar fallen. „Wir wollen das etwas tiefer hängen“, warnen Birgit Daiber und ihr Sprecherkollege Andreas Schulze vor falschen Erwartungen. Das Programm solle kein Versuch sein, grüne Regierungspolitik vollständig zu beschreiben. Der neue Arbeitstitel lautet: „Zentrale Reformprojekte für eine zukunftsfähige Metropole.“

Neben der Finanzpolitik hat die Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik oberste Priorität. Dazu sollen Reformvorhaben in den Bereichen Verkehr und Umwelt, Innere Sicherheit, Stadtentwicklung sowie Sozialpolitik und Minderheiten entwickelt werden. Im September sollen die Ergebnisse der innerparteilichen Arbeitsgruppen auf öffentlichen Symposien diskutiert werden. Mit der Debatte soll nicht zuletzt ein Reformklima in der Stadt erzeugt werden.

Angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Krise der Stadt ist für die Grünen die Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik zu einem der wichtigsten Politikfelder geworden. Im Vorstand sind diese Bereiche auch personell abgedeckt: Die frühere Europaabgeordnete Birgit Daiber ist sozialpolitisch versiert und als Mitarbeiterin einer Servicegesellschaft täglich mit Arbeitsmarktpolitik und ihren Schwächen konfrontiert. Wirtschaftspolitischen Sachverstand bringt die 28jährige Lisa Paus ein, die auch Sprecherin der grünen Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen ist.

Paus und der 22jährige Politologiestudent Tilmann Heller sind zwei von insgesamt drei ehrenamtlichen BeisitzerInnen – ein Sitz ist derzeit noch vakant. Die Konstellation von bezahlten Sprecherpositionen und ehrenamtlichen Beisitzern im Vorstand schafft allerdings ein gewisses Ungleichgewicht. „Wir gehen ein großes Wagnis ein“, sagt Daiber, die den Vorstand als Kollegialorgan begreift. Verstärkt wird das Ungleichgewicht noch durch die personelle Besetzung: Die Politprofis Andreas Schulze und Birgit Daiber gehörten dem Parteivorstand bereits Anfang respektive Mitte der 90er Jahre an. Die beiden Beisitzer sind dagegen politische Newcomer. Neben Landesgeschäftsführer Michael Martens gehört erstmals auch die Frauenreferentin dem Vorstand an. Die 37jährige Anja Kofbinger sieht darin eine Chance, Frauenpolitik „an exponierter Stelle einzubringen“.

Als weitere Aufgaben des Vorstands nennt Andreas Schulze neben der Vorbereitung auf die Wahlkämpfe die Stärkung der Grünen im Ostteil der Stadt sowie die innere Reform der Partei. „In unserem Laden mal ordentlich durchlüften“, formulierte es der 33jährige in seiner Bewerbung für den Parteitag. Gemeint ist der Mangel an Entscheidungsfreudigkeit, den Schulze in der Partei feststellt. „In den letzten Jahren ist versucht worden, strittigen Entscheidungen aus dem Weg zu gehen“, ergänzt Birgit Daiber. Es werde immer nach großen Mehrheiten gesucht. „Wir müssen lernen, die Auseinandersetzung zu führen.“

Das Ergebnis von soviel Harmoniebedürfnis: Die Partei schleppt Beschlüsse mit sich herum, die in der aktuellen, politischen Auseinandersetzung nur wenig Manövrierfähigkeit lassen. Denn anders als bei der SPD, wo die Regierungspolitiker und die Fraktion sich um Parteitagsbeschlüsse wenig scheren, halten sich die grünen Abgeordneten ganz überwiegend an die Beschlußlage. Beispiel Bezirksreform: Die Grünen stimmen der Zusammenlegung der Bezirke nur zu, wenn das politische Bezirksamt eingeführt wird, es eine Volksabstimmung gibt und die Verwaltungsreform nicht beeinträchtigt wird. Da dies für SPD und CDU unerfüllbare Bedingungen sind, ist dieser Beschluß auch nicht als Verhandlungsposition gedacht. Es ist vielmehr die grüne Variante eines klaren Neins zur Bezirksreform.

Auch in der PDS-Debatte wünscht sich Andreas Schulze mehr Entschlußfreudigkeit: „Seit einem Jahr kommen keine neuen Argumente mehr.“ Wenn es nach ihm, einem dezidierten Befürworter eines Bündnisses mit der PDS, ginge, hätte sich die Partei längst festgelegt – „geräuschlos, damit der Sache nicht so eine Riesenbedeutung beigemessen wird“. Die Frage, ob seine Wahl in den Parteivorstand eine Richtungsentscheidung war, beantwortet er lachend mit Nein: „Ich bin trotz meiner Position gewählt worden.“