Fünfhundertfünfzig Freunde sollt ihr sein Von Carola Rönneburg

„Ja, hmhm, soso“, brummelt der Arzt zufrieden und ruft das Medikamentenregister an seinem Computer auf. „Sie bekommen dann etwas zum Auftragen.“ Eine Woche würde das auch bei Erwachsenen dauern, untertreibt er. Resigniert trete ich den Heimweg an und flüstere es den entgegenkommenden Schulkindern zu: Ich bin eine lebende Bombe – ich habe eine erste Windpocke!

Am Nachmittag spenden Freunde und Freundinnen telefonisch Trost. So schlimm sei das schon nicht, etwas Erholung täte mir bestimmt gut, und außerdem könne ich jede Menge dicke Bücher lesen. Sobald sie Rücksprache mit ihren Müttern gehalten hätten, würden sie mich besuchen.

Beim Stand von neunzehn Windpocken trifft der freiwillige Pflegedienst ein und schickt mich ins Bett, zur letzten ungestörten Nachtruhe: „Und nicht kratzen!“ In den nächsten Tagen leistet die sogenannte Kinderkrankheit ganze Arbeit. Wehrlos verfolge ich die Ausbreitung der juckenden Blasen auf meinem Körper. Den Windpocken geht es gut bei mir, haben sie doch weit mehr Spielraum als auf einer Fünfjährigen. Vom Fieberthermometer leicht behindert, nuschle ich nach Oberschwester Zoster und mache sie auf eine erstaunliche Beobachtung aufmerksam: Die inzwischen mit reichlich weißer Lotion betupften roten Punkte verhalten sich wie Urlauber in einem neu erschlossenen Feriengebiet. Schwester Zoster pflückt das Thermometer aus meinem Mund und kontrolliert die Anzeige. „Oha.“ Doch, erkläre ich, die Bettdecke beiseite schlagend, ganz genau so sei das. Hals und Gesicht seien quasi das erste zur Strandhochburg mutierte, ehemalige Fischerdorf, führe ich meine Theorie aus. „Mit einem Flughafen, deshalb ist es hier besonders überlaufen. Und der Rücken“ – ich drehe mich auf meinen gräßlich kribbelnden Bauch – „stellt die Strandgebiete dar, wo in kurzer Zeit furchtbar viele Hotels gebaut worden sind. Vollpension, Surfen umsonst. Jetzt ist Hochsaison.“ Ein fachmännischer Griff, und Schwester Zoster hat mich wieder herumgerollt. Ich soll sagen, was ich essen möchte, aber ich bin nicht hungrig. Ich kann nur an die rücksichtslosen Camper auf meinem Hintern denken. An den Beinen dagegen ist noch nicht soviel los. „Eher was für Rucksacktouristen“, murmle ich. „Es ist schwieriger, dort hinzukommen. Schlechte Straßen, aber schöne Badebuchten in den Kniekehlen...“ An den Fußsohlen herrscht ein rauhes Klima, will ich noch sagen, Extremsport, Sprachkurse – aber da schlafe ich endlich unter einem kühlen Waschlappen.

Im Traum bringt man mich in nördliche Gefilde, nach Kopenhagen. Ich bin nämlich eine Sensation und soll hier im Zoo in einem bequemen Vogelkäfig ausgestellt werden. Zusätzlich hat sich die Direktion etwas sehr Nettes einfallen lassen: An der Kasse erhalten die Besucher kleine weiche Bürsten an langen Stielen, mit denen sie mich durch die Gitterstäbe hindurch kratzen dürfen. Leider wache ich vorher auf.

Das Schlimmste sei jetzt vorbei, befindet Schwester Zoster am nächsten Tag. Und zum Ausgleich für die verpaßte Gelegenheit in Kopenhagen bekomme ich ein schönes dickes Buch: „50 Jahre Onkel Dagobert“. Und Fischstäbchen mit Kartoffelsalat zum Abendessen.