Wühltisch
: Vorsicht vor Hausmädchen

■ Handreichungen zum Aktienfieber: Die Geheimsprache des DAX-Hochs

Ein Gespenst geht um in der europäischen Finanzwelt, das Gespenst der Hausmädchen- Hausse. So nennen Börsianer den unbändigen Drang, der Privatanleger zur Steigerung des kleinen monetären Glücks an die Aktienmärkte treibt. Wenn die Hausmädchen, so lautet eine Faustregel des Brookerlateins, ihr Gespartes für Volksaktien und Investmentfonds zusammenkratzen, sei Vorsicht geboten. Trendumkehr droht, und nicht weniger als das Ganze sei dann in Gefahr. Seit Monaten starren die Experten in Sachen DAX, Dow Jones und Nikkei- Index gebannt auf steile Kurven, beschwören nach Kräften der Hausmädchen und neuen Nichtsparerklasse Unvernunft, aber die Kurse steigen dessen ungeachtet weiter. Nie wieder Häusle bauen scheint die Devise der risikobereiten Jungreichen.

Nach dem Lottorausch von 1994 steigt nun der Deutschen Börsenfieber. Zwar haben derzeit nicht einmal sechs Prozent der Bundesbürger ihr Geld in Wertpapieren angelegt, aber ein kontinuierlicher DAX-Wert von mittlerweile über 4.200 Punkten signalisiert deutlich erhöhte Temperatur. Den Rest besorgen Manfred Krug, Tausende junger Erben und die anhaltend unsichere Altersversorgung. Sachkundiges Parlieren über Kaufstrategien ist schon lange nicht mehr nur was für gealterte Yuppies. In linkskonservativen Milieus streitet man, wenn überhaupt, über Shareholder values, Put-Strategien und Depotsäuberungen. Aktienbesitz als Quell wunderbarer Geldvermehrung und Entäußerung eines Lebensstils. Let the Dividende in your heart.

Die Welt der Wirtschaft ist keine Bastion emanzipatorischer Errungenschaften, und der Begriff der Hausmädchen- Hausse stammt nicht aus dem Wörterbuch der political correctness. Wovon also spricht der Börsianer, wenn er von Hausmädchen-Hausse spricht? Man muß kein Freudianer sein, um die Metapher trapsen zu hören. Hausmädchen waren alles andere als Dummchen mit prallem Konto. Sie genossen Kost und Logis und verfügten qua Arbeitseinsatz in Küche und Schlafgemach über intime Kenntnisse der herrschaftlichen Kreise, in denen es dann nicht selten zu sexuellen Übergriffen auf die abhängig Beschäftigten kam. Andererseits waren Hausmädchen, in der Blütezeit des Berufsbilds noch nicht in die Nähe von Schwarzarbeit abgedrängt, begehrte Heiratsobjekte für junge Proletarier, die sexuelle Aufgeklärtheit und stabile Anstellungsverhältnisse zu schätzen wußten. Zwar war der Verdienst der Hausmädchen nicht besonders üppig, aber sie verstanden sich eindrucksvoll auf Sozialtechniken, mittels derer sie sich leicht zwischen verschiedenen sozialen Schichten zu bewegen vermochten. Das konnte in vielfacher Hinsicht hilfreich sein.

Im Wort von der Hausmädchen-Hausse schwingt also deutlich etwas von der Angstlust der angestammten Geldgeschäftler mit, die das Eindringen neuer Händlergruppen in ihre Schaltkreise stets fürchten mußten. Gesellschaftlich stand deren Gewerbe nicht sonderlich hoch im Kurs. Für den niederländischen Kulturphilosophen Johan Huizinga war Börsenhandel nur eine andere Art von Pferderennen oder Roulette, und für John Maynard Keynes folgte die Logik der Börse schlicht der eines Kinderspiels. Keynes sah im Aktiengewerbe einen Wettkampf der Gerissenheit, und er kritisierte den Fetisch der Liquidität als antisozial, eine Form von Verantwortungs- und Bindungslosigkeit. Keynes forderte die Hausmädchen gewissermaßen an den Traualtar. „Das Schauspiel moderner Investitionsmärkte“, so Keynes, „hat mich hie und da zu der Folgerung getrieben, daß die Unauflösbarkeit des Kaufes einer Investition ... nach dem Vorbild der Heirat ein gutes Heilmittel gegen die Übel unserer Zeit sein könnte.“ Da hat er die Rechnung aber ohne die Triebkräfte der narzißtischen Gesellschaft gemacht. Der Sturm an die Börse ist Sinnbild der Ungebundenheit und eines maßlosen Gierens nach mehr. Kein Wunder also, daß die meisten Börsenyuppies Singles waren.

Der Wunsch nach fortwährender Liquidität, meint der Psychoanalytiker Wolfgang Harsch, entspreche dem narzißtischen Wunsch des Kindes, anal liquide und nicht von der Muttermilch abhängig zu sein. Die Börse als sich selbst antreibendes Raumschiff jenseits der Güterproduktion. Das scheint verdächtig etwas damit zu tun zu haben, daß immer mehr Popaktien à la Pro7, David Bowie und Formel 1 auf den Markt strömen. Das Imagehoch der Börse scheint immer schon durch eine Begriffsbaisse bedroht. Harry Nutt