Am Montag ravt wieder das Büro

■ betr.: „Eine Million Raver können nicht irren“, „Politics of Dancing“ von Detlef Kuhlbrodt, taz vom 12./13.7. 97

[...] Die Tendenz Kuhlbrodts, grundsätzliche Kritik an der Love Parade zur Miesmacherei derjenigen zu erklären, die Schönheit, Lebensbejahung und Unverkrampftheit nicht ertragen können, ist in doppeltem Sinne oberflächlich. Denn erstens wird der Schönheits- und Funbegriff des „Love-Kartells“ unreflektiert übernommen und verallgemeinert, zweitens die bloße Ereignishaftigkeit gefeiert, ohne nach der dahinterstehenden Ideologie zu fragen. [...]

Die Love Parade verkörpert in Wort und Tat genau jene Ideologie des „Ich konsumiere total“, die die radikal notwendige Umkehr unserer Gesellschaft verhindert. [...] Der kommerzielle Rave läßt nicht nur Sponsorenherzen höher schlagen, er ist die Kraft-durch-Freude- Bewegung des Konsumismus. Gerade die von Motte und Umfeld gebetsmühlenartig verbreiteten Blubbereien von Ideologielosigkeit, zweckfreiem Zusammensein, interessenfreier „Love“ demonstrieren, wes Geistes Kind sie sind: Animateure im „Club of Neoliberals“, denn neoliberal sein heißt unschuldig sein und Ideenlosigkeit mit Ideologiefreiheit zu verwechseln. Daß ein öffentlicher Park, ein Erholungsraum der Allgemeinheit und ein Naturwert an sich also, der hemmungslosen Selbstdarstellung einer kaufkräftigen Klientel (BZ: „Berlin vergoldet: Millionengewinne“) geopfert wird, ist dabei der eigentliche Skandal und zeugt von einer Degeneration „öffentlichen“ Denkens, die mit Entwicklungen wie der Privatisierung der Innenstädte Hand in Hand geht.

[...] Es geht nicht ums Spaßhaben an sich, sondern darum, in welche Formen hier das Recht auf Spaß gegossen wird! Und diese Formen stammen aus der Schmiedewerkstatt derjenigen, die das besinnungslose „Weiter so!“ vertreten. Daß dies auch noch mit der Überschrift LOVE versehen wird, ist objektiv so zynisch, daß man subjektiv heulen könnte. Joscha Zmarzlik, 27, Berlin

[...] Die Euphorie von Beteiligten und Presse beleuchtet ebenso wie nachdenklich machende Kritik nur die grauenvolle Normalität der Veranstaltung. Der Müll, über den sich eine Stadt plötzlich zu echauffieren vermag, ist doch nur der, den die Leute heute nicht zu Hause machen. Der Spaß in der Öffentlichkeit ist vorgetäuscht und unterscheidet sich in nichts vom TV- Konsum der übrigen Tage, denn das Spektakel der Sponsoren bestimmt die Verhaltensweisen, verhindert jede selbstbestimmte Aktion. Ein väterlicher Innensenator Schönbohm freut sich über die völlige Kontrollierbarkeit eines ganzen Bevölkerungssektors. Erst in der abgeschirmten Schutzzone der Clubs beginnt und endet der folgenlose Kampf gegen die Langeweile. Am Montag ravt wieder das Büro.

So ist Techno der perfekte Ausdruck der Angestelltenkultur. [...] Sie wissen nicht, was Techno sein könnte: unkontrollierte Ausschweifung, gefährliche Leidenschaft, Spiel mit Bedeutungen, individuelle Selbsterfahrung ohne die autoritären Stars des Pop. Die Love Parade gibt all dies auf. Was erschüttert, ist die Freiwilligkeit dieser Aufgabe. Philipp Bühler, Berlin