Kotau vor der Atomlobby

■ betr.: „Kabinett unter Atom strom“, taz vom 17.7. 97

Bei dem von Umweltministerin Merkel vorgelegten Entwurf zur Novellierung des Atomgesetzes wird ganz im Schatten von Gorleben und Morsleben noch – en passent – das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Berlin vom August 1996 kassiert. Zur Erinnerung: Als Klägerin gegen das AKW Krümmel erstritt ich damals das Urteil, daß bei wesentlichen Änderungen an einem AKW die vormals erteilte Dauerbetriebsgenehmigung nicht als Freifahrtschein für die wesentlichen Änderungen zu betrachten ist, sondern daß die ganze Anlage erneut auf den Prüfstand muß. Schon damals gab es den Aufschrei der Atomlobby, nun wären Nachrüstungen nicht mehr möglich, weil neue Genehmigungen viel zu teuer und zu aufwendig wären.

Diesem Aufschrei folgte Frau Merkel aufs Wort. Nun müssen Nachrüstungen nicht mehr dem „derzeitigen Stand von Wissenschaft und Technik“ entsprechen, es darf ruhig „ein bißchen weniger“ sein. Man will ja schließlich der Atomindustrie nicht zuviel zumuten. Und damit entzieht sich jede Nachrüstung einer gerichtlichen Überprüfung, ob ausreichend Vorsorge im Sinne des GG Art. 2 (2) – Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – getroffen ist. Schließlich sagt (nach der Novellierung) dann das Atomgesetz, es muß ja nicht nach derzeitigem Stand von Wissenschaft und Technik nachgerüstet/geändert werden.

Wenn ich mich heute mit den Gerichten wegen der in der Umgebung von Krümmel aufgetretenen Leukämien streite, ob die Strahlenschutzverordnung ausreicht, ob wirklich (fast) alle Risiken ausgeschlossen werden, wird es dann heißen, daß das Atomgesetz ja einen solchen Ausschluß der Risiken gar nicht mehr fordert.

Das Atomgesetz dient nicht nur der Gefahrenabwehr, sondern soll auch der Risikovorsorge dienen. Genau das wird nun abgeschafft. Unfaßbar, mit welcher Arroganz hier zu Werke gegangen wird. Da bleibt nur eins: Sollte der Gesetzentwurf tatsächlich Gesetz werden, werde ich das Bundesverfassungsgericht anrufen, um überprüfen zu lassen, ob dieses neue Atomgesetz noch auf dem Boden der Verfassung steht.

Ich bin sicher, diese Arroganz der Macht wird allen Anti-Atom- Initiativen Auftrieb geben. Auf der Straße haben wir offensichtlich noch immer mehr Chancen – siehe Gorleben –, aus der menschenverachtenden Atomindustrie auszusteigen, als in den Parlamenten. Renate Backhaus, Reppenstedt

Das neue Atomgesetz, das nun u.a. die Enteignung von Grundstücken erleichtern soll, entlarvt die Atomenergie als das, was durch die technischen Diskussionen immer wieder in den Hintergrund gedrängt wird: als ein zutiefst antidemokratisches, totalitäres Energie-System. Der unverhältnismäßig hohe Sicherheitsbedarf dieser Energieform bringt unwillkürlich eine Eigendynamik mit sich, die sich mit den Grundsätzen des Rechtsstaates nicht vereinbaren läßt. Die astronomischen Kosten erscheinen vor diesem Hintergrund fast als nebensächlich.

Was mich am meisten dabei erschreckt, ist, daß nur geringer Protest laut wird. Es bleibt abzuwarten, bis die nächsten Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten die nächste Diskussionsrunde einläuten und aus Gründen der „öffentlichen Sicherheit“ ein weiterer Eingriff in die Grundrechte vorgenommen wird. Peter Elwert, Reutlingen

Mit dieser Änderung versetzt das Bundeskabinett dem Gebot, daß bei dieser höchst gefährlichen Technologie die Sicherheit der Bevölkerung absoluten Vorrang vor den Interessen der Atomwirtschaft haben muß, den endgültigen Todesstoß: Weiterbetrieb des nicht nach bundesdeutschem Recht geprüften mangelhaften Atommülllagers Morsleben, Aufweichung des Prinzips „Stand von Wissenschaft und Technik“. [...] Eugen Prinz, Schwarzenbek