■ Gerhard Schröder: Ein Sonntagsinterview und seine Folgen: Verliebter Opportunist
Gerhard Schröder kämpft nicht allein gegen das Gesocks auf der Straße, gegen die Verbrecherflut aus dem Osten, gegen lasche Polizisten und Kindermörderverharmloser. Auch die taz verteidigte gestern gleich zweimal Schröders Äußerungen in der Bild am Sonntag. Tenor: Er hat mit seinem Ausländer-raus- Polizei-rein irgendwie recht. Und: Die Grünen haben zum Thema Recht und Ordnung nicht mehr zu sagen als „Gestammel“. Potztausend!
Es fällt schwer, darauf sachlich zu antworten. Dennoch ein Versuch, den politischen Restverstand anzusprechen:
Ein zentraler Punkt der Verbrechensbekämpfung ist die Drogenpolitik, weil sie gleichzeitig Drogenmafia, Beschaffungsdelikte, Verelendung und Prostitution betrifft. Erprobte Konzepte wie die ärztlich kontrollierte Heroinabgabe an Schwerstabhängige (siehe Schweiz) liegen vor. Wo sie praktiziert werden, geht die Kriminalität stark zurück, die Drogenbosse verlieren ihren lukrativen Markt. Schröder ist dagegen. Die Grünen dagegen haben schon vor Jahren detailliert ihre Position vorgelegt.
Die Abschiebung straffälliger Ausländer ist weitgehend Konsens. Sie wird in allen Bundesländern praktiziert und muß nicht erst von Schröder verlangt werden. Die Forderung nach „schnellerer Abschiebung“ ist nichts als das kalkulierte Bedienen ausländerfeindlicher Ressentiments. Die „schnelle“ Praxis hat längst dazu geführt, daß selbst 18jährige in Deutschland geborene Türken nach Straftaten abgeschoben werden. Was will Schröder mehr?
In Sachen „Verbrechen“ hat die Polizei eine Rekordaufklärung erreicht. Problem ist nicht der lasche Umgang mit angeblich meist ausländischen Räubern und Killern, zuwenig Handys und zuwenig Polizisten auf der Straße, wie Schröder behauptet, sondern die zunehmende Brutalisierung der Gesellschaft und der Anstieg der Jugendkriminalität.
Der Umweltpolitik will Schröder solange Sendepause verordnen, bis die Ökonomie blüht. Nur: Ozonloch, Klima-GAU, Hochwasser, Gift, Müll und Ressourcenplünderung machen keine Pause. Ökologischer Umbau, nachhaltiges Wirtschaften und eine planetar verträgliche Welt fallen nicht vom Himmel.
Das Interview offenbart einen widerlichen Opportunisten. Einzige Entschuldigung: Schröder sei schwer verliebt, meldet das Blatt. Und Verliebte sind nie ganz zurechnungsfähig. Manfred Kriener
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