„Die Wahrheit sagen“

■ Blick von außen: Burundis Expräsident Sylvestre Ntibantunganya über den Krieg

taz: Am 25. Juli 1996 wurden Sie in einem Putsch gestürzt. Heute stellen viele Menschen eine Verbesserung der Sicherheitslage fest. Was denken Sie darüber?

Ntibantunganya: Es gab einen Putsch, und ich bin gegen Putsche, vor allem, da Putsche in der Verfassung nicht vorgesehen sind. So gibt es ein Problem von Legalität und Illegalität, und darüber muß man bei den Verhandlungen reden. Die Sicherheitslage hat sich verbessert, und das ist gut. Die Unsicherheit hat strukturelle Gründe, und auch die muß man bei den Verhandlungen behandeln. Es ist schade, daß Hunderttausende sterben mußten, damit Burunder in gewissen politischen Lagern auf Verhandlungen kommen.

Die Verschmelzung von Guerilla und Armee wird aber ein Problem darstellen. Der Guerilla werden Massaker an Frauen und Kindern vorgeworfen.

Alle kämpfenden Kräfte haben Greueltaten begangen, nicht nur die Guerilla. Ich habe Frau und Freunde verloren. Hat die Guerilla sie getötet? Soeben wurde einer meiner Schwager ermordet. War das die Guerilla? Niemand darf sich selbst zum Richter erheben.

Nach dem Putsch flohen Sie in die US-Botschaft. Erst vor kurzem haben Sie die Botschaft wieder verlassen. Haben Sie mit Präsident Buyoya einen Deal abgeschlossen?

Was könnte ich für einen Deal abschließen? Ich habe meine Rechte wiedererlangt, und die sind nicht verhandelbar.

Haben Sie das Gefühl, daß in Burundi eine Ghettoisierung stattfindet? Es gibt ja die Sammellager und die Lager der Vertriebenen.

Man muß die Wahrheit sagen. Seit dem Putsch von 1996 gibt es eine massive Zwangsgruppierung der Bevölkerung in Lagern durch die Sicherheitskräfte des Staates. Alle Welt verurteilt die sehr schlechten Bedingungen, unter denen sie leben. Laßt diese Leute ihre normalen Lebensbedingungen wiederfinden! Sie wollen ja nach Hause.

Es gibt in Burundi derzeit den Wunsch, Schuldige an Massakern zu bestrafen, vor allem die Verantwortlichen des Völkermordes von 1993. Aber manche wollen auch weiter zurückgehen. Was denken Sie dazu?

Man muß ein Übel an der Wurzel ausrotten. Der Völkermord ist ein Verbrechen gegen die Menschheit, nicht gegen eine Ethnie. Es hat in Burundi viele Verbrechen dieser Art gegeben. Man muß sie zusammen betrachten, nicht getrennt. Wenn die einen sagen, daß 1972 die Hutu Opfer eines Völkermordes waren, und die anderen sagen, 1993 waren es die Tutsi, muß man ein Datum festlegen, von dem aus man dieses Phänomen insgesamt auslöschen kann. Wir müssen erst einmal die Wahrheit feststellen. Die Gerechtigkeit kann nicht vor der Wahrheit kommen.

Bekanntlich enthält in Burundi wie in Ruanda jede Familie Hutu und Tutsi. Warum gibt es keine Verständigung?

Genau das ist die Frage. Es gibt keinen Konflikt zwischen Hutu und Tutsi als solche, sondern zwischen Staat und Volk. Wir haben einen Staat, der dem Volk aufgezwungen wurde. In Burundi ist der Staat seit der Unabhängigkeit dabei, die Nation zu zerstören, aufgrund der Feindschaften zwischen Eliten. Bis in die Mitte der 70er Jahre spielte sich der Kampf der Eliten innerhalb des Staates ab, danach gab es den gegenseitigen Ausschluß der Protagonisten aus dem Staat, so daß einige sich völlig außerhalb des Staates wiederfanden. Das sind die Leute, die heute in die Rebellion gegangen sind. Heute ist der Staat Opfer der Putschfreudigkeit innerhalb der mehrheitlich von Tutsi gestellten Armee und der Rebellen, die den Staat erobern wollen und die sich als Hutu-Rebellen definieren. Die Tutsi-Eliten wollen den Staat monopolisieren, weil sie glauben, damit die Tutsi-Minderheit zu verteidigen. Die Hutu-Rebellen wollen den Staat erobern, um die Macht für die Hutu zurückzugewinnen. Aber das ist alles Unsinn. Interview: Pierre-Olivier Richard, Bujumbura