Erbgut avanciert zum lukrativen Wirtschaftsgut

■ Mit der europaweiten Gen-Patentierung fallen weitere Schranken zum Schutz der genetischen Ressourcen. Regelung soll auf den Rest der Welt ausgedehnt werden

Berlin (taz) – Als eine „Zwangsenteignung der genetischen Ressourcen“ bezeichnet der Europaabgeordnete der Grünen, Wilfried Telkämper, die geplante Patentierungsrichtlinie der EU. Für den SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer läuft die Richtlinie, die mit den Stimmen seiner Parteikollegen im Europaparlament abgesegnet wurde, sogar „auf einen neuartigen Kolonialismus hinaus“.

Die Vergabe von monopolartigen Nutzungsrechten auf Pflanzen und Tiere wird eine jahrtausendealte Praxis beenden. Als ein 12.000 Jahre altes „Grundrecht“ in der Landwirtschaft bezeichnet der Pflanzenzüchter und Direktor der niederländischen Gen-Bank den bisherigen freien Zugriff auf Saatgut. So durften nach der bisherigen Rechtsetzung Landwirte ihre eigene Ernte zur erneuten Aussaat verwenden und auch in nachbarschaftlicher Hilfe anderen Bauern Saatgut zur Verfügung stellen.

Mit patentiertem Saatgut wird dies nur noch eingeschränkt möglich sein. In die europäische Patentrichtlinie ist zwar nach langen Auseinandersetzungen ein Passus aufgenommen worden, der Landwirten weiterhin erlaubt, ihre eigene Ernte als Saatgut zu verwenden, der nachbarschaftliche Tausch jedoch ist dann nicht mehr zulässig. Zu befürchten ist, daß in naher Zukunft dieser sogenannte Landwirtevorbehalt weiter eingeschränkt wird. So versuchen die USA seit langem, ihr weitergehendes Patentrecht über das Welthandelsabkommen Gatt auf den ganzen Globus auszuweiten.

In den USA ist es jetzt schon Praxis, Farmern, die genmanipuliertes und patentgeschütztes Saatgut verwenden, genau vorzuschreiben, was sie alles zu unterlassen haben. Bei den herbizidresistenten Sojabohnen „Roundup Ready“ hat der Biotech-Konzern Monsanto den Farmern nicht nur untersagt, ihre eigene Ernte als Saatgut zu verwenden, sie mußten sogar vertraglich zusichern, das Herbizid Roundup zu verwenden, Mitarbeiter von Monsanto haben das Recht, die Felder zu inspizieren.

Pflanzensamen, Bodenproben mit exotischen Mikroorganismen, selbst menschliche Blut- und Gewebeproben werden von den „Gen-Huntern“ aus allen Regionen der Welt zusammengeklaubt und auf gewinnversprechende Gene hin untersucht. Ein Großteil der genetischen Ressourcen, für die heute schon Patente vergeben werden, stammt ursprünglich aus Ländern der Dritten Welt. Stehen sie erst einmal unter Patentschutz, können selbst die Ursprungsländer nicht mehr frei darüber verfügen.

Noch ist es für viele Staaten möglich, einzelne Ausnahmen von der Patentierbarkeit festzuschreiben. Ein entsprechender Passus ist auf Druck von Staaten der Dritten Welt und mit Unterstützung der EU in das Gatt-Abkommen aufgenommen worden. Mit der Patentierungsrichtlinie habe die EU diese Linie jetzt verlassen, meint Christoph Then, der in München die Kampagne „Kein Patent auf Leben“ koordiniert. Er befürchtet, daß die EU gemeinsam mit den USA bei der für nächstes Jahr anstehenden Neuverhandlung der entsprechenden Gatt-Vorschrift das Ausnahmerecht zu Fall bringen wird. Wolfgang Löhr