Mein erstes Mal

■ Heute: Barbora Paluskova über ihre erste Begegnung mit dem Gerichtsvollzieher

Gewöhnlich mache ich keine Schulden. Wenn ich wenig Geld hab, geb' ich eben wenig aus, und wenn ich Spa-ghetti mit Margarine essen muß. Das war zum Glück noch nicht so oft der Fall, aber daß mir Leute erzählen, was sie sich für tolle neue Sachen gekauft haben und gleich darauf zur Jammerarie ansetzen, was das gekostet hat und wieviel Miese sie schon wieder auf dem Konto haben, kommt ständig vor.

Früher hab' ich dann gerne die moralische Zicke raushängen lassen und gedacht, was ich für ein Schwein hab, daß ich kein Geldjunkie geworden bin. Arm, aber ehrlich. Genauer heißt es natürlich: arm und ehrlich gleich doof. Aber wer nicht reich werden will, braucht wenigstens niemandem irgendwo reinzukriechen. Zum Teufel mit Autos, Geschirrspülmaschinen und Fernreisen. Wenn ich wissen will, wie es auf der Osterinsel aussieht, geh' ich zur Bücherhalle, dachte ich. Und genau dieser Punkt wurde mir zum Verhängnis.

Die Osterinsel. Ein winziges Stück Fels in den unendlichen Weiten des Pazifik. Rätselhafte, fremde Kultur. Mächtige Statuen mit langen Ohren und seltsamen Kopfbedeckungen. Als ich das erste Mal den Umschlag von Thor Heyerdahls Rapa Nui auf dem Bücherhallenregal aufleuchten sah, bin ich sofort und vollständig der billigen, für jeden Yacht-Besitzer leicht durchschaubaren Exotik der Südsee erlegen. Es war der erste richtig heiße Sommer seit Jahren, und jeder normale Mensch war an irgendeinem Strand am Braten, nur ich nicht. Ich nahm das Buch mit nach Hause, und am nächsten Tag klapperte ich sämtliche Bibliotheken ab und suchte alle Bücher von Thor Heyerdahl aus, die ich finden konnte, dazu noch alles über den Pazifik und angrenzende Gebiete. Den ganzen Stapel konnte ich natürlich nicht auf einmal tragen, und so mußte ich ein paarmal hin- und herfahren. Mit dem Fahrrad, versteht sich.

Dann waren die Lektüre-Tonnen endlich zusammen. Ich ignorierte das Telefon, schaltete die Türklingel ab und fing an zu lesen, und als die erste Mahnung von der Bücherhalle kam, schmiß ich sie weg und las weiter. Zwischendurch mußte ich arbeiten gehen oder essen oder schlafen oder andere lästige Pflichten erledigen, aber wie jeder richtige Junkie tat ich es nur, um schneller zu meinem Stoff zurückehren zu können.

Der Trip war unglaublich. LSD ist Fliegendreck gegen Thor Heyerdahl. Es warf mich total aus der Bahn, und ich wachte erst ein paar Monate später auf, an einem nebligen Montag morgen im Herbst, punkt acht, als es an der Tür klingelte. Auf der Treppe stand ein schmächtiges Männchen mit einer großen Tasche und hielt mir den verhängnisvollen Zettel hin. Über die Summe möchte ich mich hier nicht äußern, aber es war ein Vermögen, und das noch vor den unverschämten Gebührenerhöhungen. Da ging ich in mich und begann eine Thor-Heyerdahl-Entziehungskur. Es fiel mir leicht, denn mit klarem Kopf läßt sich viel an seinen obskuren Thesen herumkritteln, aber darum geht es hier gar nicht.

Hier geht es um das erste Mal, und dies war meine erste Begegnung mit dem Gerichtsvollzieher. Er war sehr höflich. Ich hab' ja auch gleich bezahlt, und seitdem bewahre ich die Fristzettel von der Bücherhalle auf, meistens. Neuerdings besitze ich einen Fahrradanhänger. Da paßt mindestens ein Zentner Bücher rein, aber ich habe es noch nicht ausprobiert. Wahrscheinlich bin ich geheilt. Barbora Paluskova