Ich sehe dich, was du nicht siehst

„Mit einem Auge immer beim Zielobjekt“: Detektive müssen neugierig und geduldig sein. Vor allem müssen sie beobachten können  ■ Von Judith Weber

Die Zielperson läßt auf sich warten. Ihr Auto steht unbenutzt vor der Haustür, aus der seit Stunden niemand getreten ist. In dem Volvo, der zwanzig Meter vom Haus weg parkt, knurrt ein Magen – unbeachtet von dem Mann, zu dem er gehört. Wirtschaftsdetektiv Andreas Hack hat um halb neun Uhr morgens keine Zeit für Hunger. Er ist ganz Auge, ist ganz Ohr.

Seit zwei Stunden beobachtet Hack das Klinkerhaus und das silberne Auto davor. Wenn alles so kommt, wie der Detektiv denkt, daß es kommt, wird bald eine Frau das Haus verlassen und in den Wagen steigen. Denn Hacks „Zielperson“ist Krankenpflegerin. Die Frau soll einem Pflegedienst Akten und Adressen von SeniorInnen gestohlen haben. Jetzt betreut sie die Menschen auf eigene Rechnung, vermutet der Pflegedienst. Er besorgte sich außer einer einstweiligen Verfügung gegen die Frau auch noch Hack als Privatdetektiv, zwecks Beweissammlung und Beobachtung – „Observation“, wie es im Detektivjargon heißt.

„Das kann auch mal ermüdend sein“, findet Hack, als die Krankenpflegerin um neun Uhr immer noch nicht zu sehen ist. Kaffee trinken, um wachzubleiben, ist bei Detektiven verpönt – andernfalls droht die Gefahr, im entscheidenden Moment aufs Klo zu müssen. Überhaupt ist alles verboten, was vom Gucken ablenkt. Zwar liegt eine Zeitung auf dem Rücksitz von Hacks Volvo. „Aber auch wenn ich lese, bin ich mit einem Auge und einem Ohr immer beim Zielobjekt.“

Daß Andreas Hack sich konzentriert, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Die Lehne des Fahrersitzes beinahe in Liegeposition, fummelt er am Gebläse der Windschutzscheibe herum. „Man darf nie so parken, daß man nur im Spiegel beobachten kann“, erklärt er. „Das ist zu mühsam und lenkt ab.“Also Augen nach vorn. Der Hutträger, der seinen Hund vor dem Haus an einen Zaun pinkeln läßt, erntet nur einen kurzen Blick. Schließlich beobachtet Hack nicht jeden. „Ich entscheide schnell, in welchen Fällen sich eine Observierung lohnt“, berichtet der Detektiv. Ein schlechtes Gewissen komme da gar nicht erst auf. „Beobachten ist für mich schon zur Routine geworden.“Ebenso wie das Warten, manchmal stundenlang.

Um kurz nach neun ist es damit vorbei. Die Krankenpflegerin kommt aus ihrer Wohnung. Als sie über die Straße geht, kauert Andreas Hack geduckt im Wagen. Den Kopf fast am Schalthebel, die Schultern halb hinter, halb unter dem Lenkrad. Sehen, ohne gesehen zu werden, ist des Beobachters oberstes Gebot. „Vielleicht kennt die Frau mein Auto bereits“, befürchtet Hack. Schließlich ist er seit rund vier Wochen hinter ihr her. Tatsächlich starrt die Frau in Richtung des blauen Volvos. Nur einen Moment, bevor sie über die Straße geht. Unwahrscheinlich, daß sie Hacks Fotoapparat klicken gehört hat.

Die Kamera lagert auf der Rückbank – blickdicht verpackt, neben dem Nachtsichtgerät, der Videoausrüstung und dem Fingerabdruck-Set. Die übliche Ausrüstung für einen der etwa 1.000 Hamburger Detektive. In 50 Detekteien spüren sie Ehefrauen und SchwarzarbeiterInnen nach und forschen für Versicherungen nach angeblich gestohlenen Sportbooten. „Dafür sind wir schon mal bis nach Spanien gefahren“, erzählt Hack.

Führer- und Gewerbeschein waren jahrelang die einzigen Voraussetzungen für selbständige Detektive. Seit kurzem gibt es eine staatlich anerkannte Ausbildung. Andreas Hack hat bis vor acht Jahren als Medizintechniker gearbeitet und sein Geld mit dem Bau künstlicher Hüften verdient. „Aber so ein Job war nichts für mich – morgens um sieben kommen und um 16 Uhr wieder gehen.“Dann lieber nachts vor Häusern warten und sich als Sachbearbeiter in Firmen einschleusen lassen, um die Angestellten zu kontrollieren.

Noch nie hat dabei jemand gemerkt, daß der Mann im Anzug eigentlich keine Ahnung hat, was an seinem Schein-Arbeitsplatz zu tun ist. „Ich beobachte einfach, was alle anderen machen“, erklärt Hack. Bei mehrtägigen Observationen kommt es auch schon mal vor, daß der Beobachter ertappt wird. „Man ist verbrannt“, heißt das im Berufsjargon. In so einem Fall muß man schlagfertig sein. „Leiden Sie unter Verfolgungswahn?“herrscht der Detektiv den Verfolgten an – und beauftragt einen Kollegen mit der Observation, sobald „die Zielperson“kleinlaut davongeschlichen ist.

Die Krankenpflegerin hat ihren Verfolger nicht bemerkt. Sie steigt ins Auto und fährt los, der Volvo immer hinter ihr. 60 km/h, kaum rote Ampeln. Eine Verfolgung ohne Verkehrssünden. Angenehm für Andreas Hack. Denn Detektive dürfen auch auf der Straße nicht mehr als andere Menschen. Auf keinen Fall das, was Polizisten dürfen: Über rote Ampeln fahren zum Beispiel oder mit hundert durch Dörfer rasen. Die Strafpunkte auf Hacks Flensburger Verkehrskonto lassen sich deshalb gerade noch an zwei Händen abzählen. „Zehn sind's bestimmt schon“, schätzt der Detektiv. Er müsse sich eben dem Fahrtempo des Verfolgten anpassen oder „den Wagen mal unkonventionell abstellen“.

Als die Ampel vor ihm rot wird und die Krankenpflegerin unverfolgt um die Ecke biegt, bleibt der Detektiv gelassen. „Ich weiß ja, wo sie hinfährt.“Vor dem Haus einer Seniorin findet Hack den silbernen Wagen der „Zielperson“wieder. Die Frau selbst ist nicht zu sehen. Wieder mal heißt es warten. Nervt's? „Nein. Ich glaube, daß jeder eine Begabung hat. Und ich bin eben der, der gut beobachten kann.“

taz-Serie Voyeure, Teil 3: „Der Gnupsi verrät den Quasar“– ein Sternengucker vermißt das Weltall, am Donnerstag, den 31. 7.