Sodom und Gomorrha

■ "Bunte" weiß, wie Schwule morden. Versace-Mord spült Ressentiments hoch

Die Dämme brechen weiter. Seit dem Mord an Gianni Versace gibt es in den Medien kein Halten mehr, Schwule und ihr „Milieu“ stehen wieder einmal auf dem Prüfstand. Mit einem „Hauch von Sodom und Gomorrha“ über dem Miami-Stadtteil South Beach hält sich der Spiegel noch vornehm zurück, während die meisten anderen von Beginn an auf die Verbindung von „Milieu“ und „Homosexuellen-Szene“ und dem mutmaßlichen Mörder setzen: Von hier mußte er kommen, dahin mußte er verschwinden, und hier verbreitet er jetzt Angst und Schrecken. Im Schwulenviertel von San Diego seien „jetzt viele Gays aus Angst abgetaucht“, weiß der Spiegel, und „Homosexuelle in Miami bleiben derzeit treu“, verlautete der Berliner Tagesspiegel.

Alle wissen plötzlich Bescheid und kennen sich aus in der Szene. Die mutmaßliche Nähe von Homosexualität, Prostitution und Verbrechen läßt bei ansonsten ganz liberal gesinnten Gemütern plötzlich den Deckel hochgehen und längst verstaubte homophobe Phantasien wiederauferstehen.

Den neuesten Coup landet die Klatsch-Illustrierte Bunte. In der heute erscheinenden Ausgabe bringt ein Sexologe zunächst Grundsätzliches auf den Tisch: „Leben Homosexuelle anders?“ lautet die Schlagzeile, und der Hamburger Professor Werner Habermehl fängt noch einmal bei Adam und Eva an: Woher kommt's? Wie viele gibt's? Was machen sie im Bett?

Doch schon bei ganz schlichten Informationen versagt der Experte. „Es gibt noch immer den Paragraphen 175“, behauptet er, obwohl das Machwerk längst verschwunden ist, seit im März 1994 der Bundestag mit großer Mehrheit das Sonderstrafrecht für Homosexuelle aus dem Strafgesetzbuch strich. Bei so viel Fachkompetenz ist von Herrn Professor Doktor nichts mehr zu erwarten, und tatsächlich schweben die übrigen Antworten kurz über Stammtischniveau: Die Eifersucht sei bei Homosexuellen „oft sehr viel schärfer“, nur „etwa jeder 20.“ Homosexuelle sei ein Genie, die „Zentren der Homosexualität“ lägen hierzulande in Berlin, Hamburg und Köln – „wegen des hohen Anteils an kreativen Berufen“ und in der arabischen Welt „tut sich mit Männern zusammen, wer nicht genug Geld hat, um zu heiraten.“

Da kommt man schon ins Schmunzeln, wie hier eine Kuriosität sich zur anderen fügt. So richtig fahrlässig aber wird es, wenn die Bunte – noch ganz unter dem Eindruck der Bluttat von Miami – fragt: „Warum geraten Homosexuelle immer wieder in die Nähe von Drogen und Gewalt?“ Habermehls Antwort ist Hetze pur: „Drogen verstärken die sexuellen Reize, und um die geht es häufig in der Homosexuellen-Szene. Mit den Drogen gerät man aber auch sofort in den Kreislauf von Gewalt und Verbrechen.“ Damit nicht genug: „Homosexuelle neigen mehr als Heterosexuelle zu Sadomaso- Praktiken. Dafür stehen oft nur Typen von der Straße zur Verfügung.“ Und noch eins drauf: „Homosexuelle wechseln viel häufiger die Partner als Heteros. 3.000 verschiedene Partner sind keine Seltenheit. Um diese Frequenz zu erreichen, braucht man auch Strichjungen – und da ist man bereits wieder in der Nähe von Erpressung und Kriminalität.“

Natürlich nennt der Wissenschaftler für seine Behauptungen keine Fakten und Zahlen. Seine üble Nachrede kennt nur das eigene Vorurteil und den freien Fall in die unverdaute Projektion. Für die Bunte aber ist der Zweck erfüllt: Die Legende ums sogenannte homosexuelle Milieu wird neu belebt und wissenschaftlich untermauert. Und die Story um Gianni Versace und seinen Mörder gerät wieder in volle Fahrt. Elmar Kraushaar