Brandenburg wird Feuchtgebiet

■ Südlich von Frankfurt sind die ersten Oder-Deiche gebrochen, nach Westen breitet sich ein über zehn Kilometer langer See aus. Tausende Menschen müssen ihre Häuser verlassen. Die Polizei evakuiert Unwillige mit Gewalt

Frankfurt an der Oder (AP/rtr/taz) – Tausende von Sandsäcken konnten dem Druck des Oder-Wassers nicht standhalten: Bei Kunitzer Loose, südlich von Frankfurt, brach gestern der Deich auf hundert Meter Länge. Die Bundeswehr warf von Hubschraubern Sandsäcke und Betonbrocken ab, konnte damit den Riß aber nicht stopfen. Brandenburgs Umweltminister Matthias Platzeck bezeichnete den Bruch als irreparabel. Drei Ortschaften mit 300 Einwohnern wurden umgehend nach dem Bruch evakuiert. Insgesamt 2.300 Menschen sollten das Krisengebiet verlassen. Viele weigerten sich. Gewaltsam ging die Polizei in Kunitzer Loose gegen einen Mann und ein Ehepaar vor. Wegen Widerstands gegen Vollzugsbeamte werden die Zwangsevakuierten sich vor Gericht verantworten müssen.

Am Nachmittag gaben die Hilfsmannschaften den am Morgen durchgebrochenen Deich bei Brieskow-Finkenheerd auf. Der Sprecher des Sonderstabs des brandenburgischen Innenministeriums, Manfred Krohe, sagte, der Deich sei nicht mehr zu verteidigen. Er sei auf einer Länge von 20 Metern von den Wassermassen völlig weggerissen worden. Nach Angaben des Amtsdirektors von Brieskow-Finkenheerd, Reimar Vögele, ist das Wasser bis zum Nachmittag auf einer Breite von vier Kilometern in das Landesinnere vorgedrungen und hat die 1.200-Einwohner-Gemeinde Wiesenau erreicht. Dort stand am Nachmittag die Teilräumung der Ortschaft bevor. Die Mehrzahl der männlichen Bevölkerung wollte sich widersetzen. Einwohner Arnold Schaar erklärte gegenüber der taz, er habe sein Leben lang Arbeit in sein Haus gesteckt und werde es nur in Handschellen verlassen. Ein Drittel der Ortschaft war von Überflutung bedroht. Die gesamte Ziltendorfer Niederung hinter dem gebrochenen Deich bei Brieskow- Finkenheerd wird in den nächsten Tagen voll Wasser laufen. An den tiefsten Stellen könnte das Wasser bis zu acht Meter hoch stehen, sagte Umweltminister Platzeck. Donnerstag oder Freitag soll weiterer Regen in der Oder-Region fallen. Und die nächste Hochwasserwelle aus dem Oder- Zufluß Bober wurde bereits in der vergangenen Nacht bei Ratzdorf erwartet. Der Pegelstand stieg dort auf über sieben Meter. In den letzten Tagen wurden weit über zwei Millionen Sandsäcke entlang der Oder verbaut. Inzwischen stehen neben Technischem Hilfswerk und anderen Organisationen 7.000 Bundeswehrsoldaten zur Verfügung. Menschen sind bisher durch das Hochwasser in Brandenburg nicht zu Schaden gekommen; die Höhe der Sachschäden kann bislang nicht abgeschätzt werden. Die Bundesregierung legte gestern ein Hilfsprogramm auf. Bis zu 20 Millionen Mark stellt sie zur Verfügung. Außerdem sollen Kredite im Umfang von 200 Millionen Mark zum halben Marktzins gewährt werden. J.N./gg

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