Die Sache mit Strabag, ein todsicherer Tip

■ Mit Aktien wollten sie an das große Geld. Aufstieg und Fall zweier Jungspekulanten

Der Tip war heiß. Er kam vom Steuerberater. Im Sommer 1991. Es gebe ein todsicheres Papier auf dem Aktienmarkt: der österreichische Baukonzern Strabag. Boom im Osten, orakelte der Kenner, Stadtsanierungen in Leipzig und Berlin, Autobahnen in Tschechien, der Staudamm in China, und die Strabag immer mittenmang, rührt Beton und Mörtel, bis die Kurse fliegen lernen.

Wir waren beeindruckt.

Fiebrig kauften wir die FAZ, verirrten uns im Zahlendschungel und stießen auf Seite 34, Aktienmärkte und Marktdaten, Rubrik Deutsche Aktien, amtliche Notierung auf die verheißungsvolle Goldader: Strabag variabel 565, 566, 567,50 Mark.

Wir hatten Blut geleckt. Die Versuchung war da, die links-ökologische Moral auch. Straßenbauorgien, Autowahn, Naturzerstörung, Profitmaximierung, Kapitalismus pur — mit unserem Geld? Wir diskutierten leidenschaftlich. Und der Kurs explodierte. Strabag variabel 625, 626, 627!

„Das ist eine ganz einfache Geschichte“, sagte der Steuerberater, „das Papier marschiert. Entweder ihr kassiert oder die anderen.“ Die moralische Frage stellte sich jetzt ganz neu: Sollten wir den Börsenhaien die schnelle Mark wirklich allein überlassen? Wollten wir nicht schon immer den Kapitalismus mit eigenen Waffen schlagen? Teile unseres Gewinns könnten wir spenden, schlug T. vor und blätterte sich auf Seite 34 vor: Strabag variabel 650, 651, 652 Mark. Die Kurse stiegen wie die Oderflut, die linken Bedenken schmolzen dahin. Schon wurden die entgangenen Gewinne hochgerechnet.

An einem sonnigen Vormittag taten wir es. Es war wie beim ersten Mal im Sexshop. Gesehen hat uns niemand.

„Sie müssen zuerst ein Depot eröffnen“, sagte die Dame am Wertpapierschalter der Sparkasse. „Und Sie brauchen ein Kennwort, wenn Sie telefonisch ordern oder exekutieren wollen.“ Wir einigten uns auf „Ferrari“. Aber kaufen konnten wir immer noch nicht. „Das erledigt unser Broker für Sie.“ Aha!

Am nächsten Tag kam die Mitteilung. Wir besaßen 30 Strabag- Aktien zum Kurswert 675,50 Mark. „Ich denke, daß ich bei 900 verkaufen werde.“ „So schnell würde ich nichts abstoßen.“ Freudig erwarteten wir das naturgesetzlich verankerte Kursfeuerwerk. Wie die Research-Abteilung von Merrill-Lynch griffen wir morgens zur FAZ, wurden intim mit Dax und Dow Jones, Leitzins und Dividende. Strabag variabel 697, 698, 699. Auch die „Widerstandslinie“ von 700 Mark wurde locker genommen. Der Kurs stieg wie der CO2-Ausstoß.

Was dann passierte, war von uns nicht vorgesehen. Die ersten Verluste firmierten noch unter „Konsolidierung“, und „vorübergehende Schwäche“. Darauf folgte ein weiteres „leichtes Nachgeben“. Dann machten uns „kräftige Kursausschläge nach unten“ zu schaffen, „schwere Einbrüche“, zuletzt dann der freie Fall. Die Aktien der Strabag seien nichts für Leute mit Herzschrittmacher, verhöhnte uns der Kommentator bei ntv. Strabag extrem variabel 500, 400, 300 Mark.

Gelähmt blickten wir auf die Baukrise und unsere Kapitalvernichtung. „Zukaufen! Billiger machen!“ befahl der Steuerberater, „die erholen sich wieder.“ Wir warteten, mutierten vom Spekulanten zum Daueranleger. Wir exekutierten bei 190 Mark. Derzeitiger Kurs: 155,50 Mark.

Neulich trafen wir unseren Steuerberater. Strabag? „Ich sag' euch was: Mit Österreichern kannst du einfach keine Geschäfte machen!“ Manfred Kriener/Walter Saller