Teurer Öko-Traum vom Häusle-Bauen

■ Fürs Wohnprojekt in Lilienthal fehlen noch Familien mit Kindern – denen fehlt das Geld. Der „Lebenstraum“ist unter 350.000 Mark nicht zu verwirklichen

Sie beobachten mißtrauisch Ihren Nachbarn, ob er beim Rasenmähen etwa Grasschnitt auf Ihr Grundstück wehen läßt? Sie leiden herzinfaktträchtig, wenn „Unkraut“aus der Betonsteinfuge Ihrer Hausauffahrt sprießt? Dann bewerben Sie sich besser nicht als Bauherr oder Baufrau bei der Ökosiedlung Lilienthal. „Wer bei uns mitmacht, sollte tolerant sein und Mut zur Auseinandersetzung haben“, sagt nämlich Anneliese Sahr vom ökologischen Siedlungsprojekt „Lebensraum Lilienthal“.

In der riesigen Sandkuhle an der Hauptstraße in Lilienthal deutet noch nichts darauf hin, daß die ersten BewohnerInnen schon das nächste Weihnachtsfest hier feiern wollen. Auf den drei Hektar Land, wo eine Öko-Gemeinschaftssiedlung für 70 Parteien entstehen soll, brummen bisher nur ein paar Bagger. Offizieller Baubeginn ist nächsten Monat. Trotzdem packt Anneliese Sahr schon die Kartons.

Anneliese Sahr gehört zum ersten Trupp von fünf „LebensträumerInnen“, für die der Slogan vom ökologischen Wohnen und bewußten, verantwortungsvollen Leben demnächst wahr werden soll. Das Grundstück für ihren Bauabschnitt ist gekauft. Die Häuserkonzeption beschlossen. Die privaten und gemeinschaftlichen Bereiche festgelegt. Das Finanzielle ist geregelt. Sobald die Erschließungsarbeiten der Gemeinde beendet sind, wird gebaut. Die Niedrigenergiehäuser stehen als Holzbauteile schon bereit. Damit geht eine jahrelange Suche zuende. Zeit, in der manche ehemals Interessierte abgesprungen sind.

Seit 1991 haben die Rest-LebensträumerInnen mit der Gemeinde Lilienthal einen Bebauungsplan und eine Siedlungsstruktur entworfen. Die Gemeinde sorgt für ein Blockheizkraftwerk, einen Bolzplatz, einen Spielplatz, einen Abenteuerspielplatz und einen Kindergarten. Ein Rückhaltebecken für Regenwasser ist bereits angelegt. Jetzt fehlen nur noch die Häuser, die in „Wohnhöfen“auf dem Gelände entstehen sollen: Das spart Grundstücksfläche und schont Ressourcen – wie auch der zweite Wasserkreislauf in den Wohneinheiten und die fette Wärmedämmung. So werden die Heizkosten inclusive Warmwasseraufbereitung für die 120-qm-Durchschnittswohnung nicht über 120 Mark monatlich klettern.

In manchem schob die Gemeinde den Ökos allerdings den Riegel vor: „Es gibt keine autonome Abwasseraufbereitung in der Siedlung und auch keine Kompostklos. Leider“, sagt die Architektin Ute Dechantsreiter. Sie weiß, auch im Bekenntnis zum autofreien Wohnen werden die SiedlerInnen noch mit Widerständen kämpfen müssen. Wie die Berufstätigen unter den Neu-LilienthalerInnen nach Bremen zur Arbeit kommen wollen, ist noch völlig offen: Es verkehrt nur nur eine Buslinie. Dafür zwängt sich eine Blechlawine täglich am Baugrundstück vorbei. Nichts für Ökopuristen, die händeringend auf die neue Straßenbahnlinie vier hoffen. Bis sich Bremen und Niedersachsen über die Schienenführung einigen, suchen sie nach Alternativen. „Car-Sharing mit dem Stadtauto, das wäre wohl was“, sagt Ute Dechantsreiter.

Derweil hat auch der Traum vom bunt gemischten Projekt schon seinen ersten Glanz verloren. Am Öko-Nest in Lilienthal bauen bislang vor allem über 50-Jährige. Jüngeren Leuten, gar Familien mit Kindern, fehlt dafür das nötige Kapital.

Als homogener Zirkel trat – im Gegensatz zu den Lilienthalern – ein ähnliches Wohnprojekt in Kiel an. Dort herrschen zum Teil strenge soziale Regeln: Der Wasserverbrauch für jeden einzelnen ist auf eine bestimmte Menge begrenzt: Wer zuviel Wasser oder Strom verbraucht, wird öffentlich gerügt. Die LilienthalerInnen aber wollen ihren Zusammenhalt bewußt freizügiger gestalten.

Wohl auch, weil sich noch gar nicht soviele InteressentInnen für das Wohnprojekt beworben haben, haben die LilienthalerInnen ihr Baugebiet in neun Felder aufgeteilt. Jedes wird einer bestimmten Gruppe zugeordnet – aber nur eines davon ist bislang belegt.

„Wir wollen die Abschnitte in der Planung offen halten, um sie später um so enger auf die Bedürfnisse der Wohngruppe abzustimmen. Die BewerberInnen sollen ausreichend Zeit haben, sich mit anderen zu einer Wohnhofgruppe zusammenzufinden“, sagt Anneliese Sahr. Und Heiko Caster, der als Architekt eines der Felder betreut, sagt: „Es ist nicht so, daß sich hier jemand mit der Erwartung bewerben kann, ihm würde alles fertig serviert. Wir brauchen die aktive Planungsbeteiligung und die offene Auseinandersetzung der Bewerber untereinander.“

Eigentlich wollten die LilienthalerInnen ja einen Lehmwohnhof auf einem der Felder aufbauen. Aber auch dafür hat sich bislang keiner interessiert. „Wir werden für den Innenbau versuchen, Baumaterialien zu recyclen. Das entlastet das Portemonnaie“, meint Architektin Ute Dechantsreiter. Der Verein will für diesen Abschnitt gezielt junge Menschen werben, die Spaß am Bauen haben und nicht über die ganz dicken Gehälter verfügen.

Bunt soll die Siedlung werden – im Gegensatz zum einheitlichen Reihenhausflair. Je unterschiedlicher, desto besser. „Leider ist das auch eine Finanzfrage“, bedauert Anneliese Sahr. Rund 400.000 Mark muß man schon für eine fertige Wohneinheit von rund 100 qm Wohn- und Gemeinschaftsfläche rechnen. „Vielleicht ist auch der Ökogedanke gar nicht mehr so aktuell“, überlegt Annelise Sahr. „Wir werden versuchen, Interessenten direkter anzusprechen.“

Dabei soll demnächst ein Moderator helfen, der neben der fachlichen Beratung durch die ArchitektInnen mögliche SiedlerInnen bei der sozialen Zusammensetzung ihres Abschnittes zusammenführen soll. Er muß sich beeilen. Zum Jahresende sollen die Grundstückspreise steigen. Grundstücke, die für den Verein Lebensraum Lilienthal ein wahrer Traum sind – auf denen sich aber offenbar wenig Menschen ansiedeln wollen.

schuh

Jeden letzten Freitag im Monat können sich Interessierte ab 17 Uhr im Lilienthaler Klosterhof über Lebensraum Lilienthal informieren oder unter 04298/2659