Hitler und die Festtagstrinker

Kriegerfest und Kirchenkampf. Eine Wanderausstellung und ein Buch zur Festkultur im Dritten Reich  ■ Von Harry Nutt

Der Gleichschritt fällt schon ein wenig schwer bei den Herren in den schwarzen Uniformen mit der weiß umrandeten Schirmmütze. Das mag am Alkohol liegen, der seit den Morgenstunden reichlich fließt. Ein Pils, ein Korn, das wird zu keinem Fest in Westfalen verschmäht. Die unsichere Marschformation liegt gewiß auch am hohen Alter der meisten Teilnehmer. Die westfälischen Kriegervereine haben Rekrutierungssorgen in der Erlebnisgesellschaft, aber es gibt sie noch, samt Appellbrimborium und kirchlich geweihter Fahne. Der Abschied von den Kriegsteilnehmern (Hanns-Joseph Ortheil) ist weitgehend vollzogen, aber einige Rüstige marschieren noch mit. Einer erinnert sich an das letzte Kriegerfest vor dem Einmarsch in Polen. „Die Fahne war natürlich schwarz-weiß-rot, und nach der Nationalhymne wurde das Horst-Wessel-Lied gespielt. Das war damals so, da brauchen wir uns gar nichts vorzumachen.“ Die Identifikation mit dem Kriegerfest ähnelt dem Bekenntnis des Alkoholikers zum Schnaps. Das Kriegerfest, das in ostwestfälischen Dörfern und Kleinstädten wie Salzkotten, Boke und Anreppen nahezu unverändert an einem Sommerwochenende mit Aufmarsch und Kirmes gefeiert wird, war keine Erfindung der Nazis. Offiziell begeht man heute denn auch, ein wenig befriedeter, „Soldatenkameradschaft“. Aber im Volksmund hält sich hartnäckig das Wort vom Kriegerfest. Die meisten Kriegervereine wurden Ende des letzten Jahrhunderts gegründet und sollten in den seit 1872 andauernden Friedenszeiten Tugenden wie Treue, Tapferkeit und Ehre hochhalten. Bismarck sah in ihnen eine „kräftige Abwehr gegen staatsgefährdende Bestrebungen“. Anfang des Jahrhunderts waren circa eine Million Mitglieder in Kriegervereinen organisiert, hinzu kamen zahlreiche Schützenvereine, die paramilitärisch organisiert waren und ihren Ursprung in lokalen Bürgerwehren haben.

Der Akt der Gleichschaltung war für die Vereine 1933 eher formaler Natur. Den Mitgliedern gegenüber mußte man die Aufgabe der Vereinsautonomie nicht legitimieren. Ihnen ging es darum, die alten Soldatentraditionen zu beleben. Die Kriegerfeste zwischen 1933 und 1939 dienten nicht zuletzt der Kriegsvorbereitung. In den 50er Jahren blühte das Vereinsleben erst wieder mit der Gründung der Bundeswehr auf. Die „Wiederbewaffnung“ veranlaßte die Vereinsbrüder allerdings nicht zu Triumphgefühlen. Bescheiden beschränkten sie sich darauf, so eherne Begriffe wie Kameradschaft, Zusammenhalt und vergangenes Leid bierselig zu erinnern.

Tatsächlich sah man in den frühen 60er Jahren noch vielfach Kriegsbeschädigte. Einarmige, Rollstuhlfahrer, Prothesenträger aller Art.

Was haben Feste wie das Kriegerfest mit dem Nationalsozialismus zu tun? Diese Frage hat sich über mehrere Semester eine geschichtswissenschaftliche Arbeitsgruppe der Uni Bielefeld gestellt, die nun in Ausstellung und Aufsatzsammlung ein vielfältiges Bild über das „Dritte Reich im Fest“ vorgelegt hat. Die Ausstellung wird bis Ende 1999 an elf verschiedenen Orten in Westfalen gezeigt. Während das Kriegerfest von den Nazis mit weitreichender lokaler Zustimmung zu adaptieren war, stellten die Reichsfahrten der „Alten Garde“ eine gezielte Neuinszenierung dar. Der Begriff der „Alten Garde“ entstand nach 1933 mit der Einführung eines Ehrenabzeichens, das zunächst Parteigenossen der NSDAP mit einer Mitgliedsnummer unter 100.000 erhielten. Die erste Reichsfahrt führte 1937 durch den Gau Koblenz-Trier, ein Jahr später durch Ostpreußen. Westfalen war 1939 an der Reihe. Die Idee der Reichsfahrt bastelte nicht nur mit einem automobilen Prozessionscharakter an einem nationalsozialistischen Gründungsmythos. Ihre besondere Aura bestand auch darin, daß jede Region nur alle 50 Jahre an der Reihe gewesen wäre. Mit einem Gespür für die Langsamkeit von Massen arbeitete Reichsorganisationsleiter Robert Ley am rituellen Unterbau der Naziherrschaft.

Das Untersuchungsgebiet Westfalen ist traditionell eines mit einer ausgeprägten Festkultur. Weihefeste der landwirtschaftlich fruchtbaren Region gehen einher mit einem stark ausgeprägten katholischen Hintergrund, vor dem asketische Kreuzerhöhungen wie in Delbrück im Kreis Paderborn unverbrüchlich neben einem lustbetonten Karneval stehen. Nur ein paar Kilometer weiter trifft man im Lippischen auf eine protestantische Tradition, die wiederum eigene Feststrukturen hervorgebracht hat.

In einem systematischen Einleitungskapitel verweist der Herausgeber Werner Freitag auf die religionssoziologischen Aspekte des Führermythos und seine Einarbeitung in die vorhandenen, übernommenen und veränderten lokalen Feste. Das ist, wie häufig bei Historikern, theoretisch nicht gerade inspirierend. Das Projekt überzeugt vielmehr durch seinen Materialreichtum und die Naheinstellung auf die jeweils lokale Besonderheit. Die mittelständische Wirtschaft und das Handwerk integrierten den Bezug auf die eigene Aufstiegsorientierung mit deutlichem Zustimmungspathos. Die Nazisymbole wurden zu Umzügen der Handwerksinnungen gußeisern, gedrechselt und gebacken vorgeführt. Hier und da gab es verspielten Protest, etwa wenn auf Robert Ley, reichsweit als Alkoholiker bekannt, und dessen Trinkerqualitäten angespielt wurde. Oder lag darin gar kein Protest, sondern vielmehr die offene Aufnahme in den großen Club der ländlichen Festtagstrinker?

Intensiv wird über die Rolle der katholischen Kirche reflektiert. In ihr nämlich durfte man das stärkste Widerstandspotential vermuten. Dabei war die oppositionelle Haltung der lokalen katholischen Gemeinden keineswegs ausgeprägt. In Paderborn zum Beispiel wurden auch auf den Kirchtürmen frühzeitig Flaggen gehißt, noch ehe es durch staatliche Anordnung vorgeschrieben wurde.

Einen tiefen Eindruck von der Feststrategie der Nazis einerseits und den Bedingungen von Widersetzung andererseits spiegelt sich in der Person des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen. Er war in seinem Bistum eine vom Volk verehrte charismatische Persönlichkeit, die die Nazis in den geschlossenen Raum der Kirche zu bannen versuchten. Von Galen indes nahm erkennbar die Gestalt eines kirchlichen Gegenführers an.

Es gab, das machen die leider nicht immer brillant argumentierenden Beiträge des Bandes klar, keine einheitliche Funktionalisierung des Fests im Nationalsozialismus. Die Verpflichtung aufs Politische suchte ihren Halt im Traditionellen.

Die skurrilen Kriegerfeste haben die Zeit überdauert. Das Faschistoide dominiert darin aber wohl nur für den, der es sehen will.

Werner Freitag (Hrsg.): „Das Dritte Reich im Fest; Führermythos, Feierlaune und Verweigerung in Westfalen 1933–1945“. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 1997, 265 Seiten, 48DM

Die Ausstellung ist noch bis zum 17. August im Stadtmuseum Iserlohn zu sehen, danach bis zum 19.Oktober im Hellweg-Museum Unna