Der Lauf im Hamsterrad

Hallo, 2. Liga: Volker Finke fängt in Freiburg scheinbar ganz neu an – Heinz Weisener regiert den FC St. Pauli weiter wie bisher

Wie ausgewechselt, sagt Volker Finke. Wer? Er? Ja, auch. Aber das muß er gar nicht erzählen. Das sieht man auch so. Wenn er ins Schwärmen gerät: über den neuen Geist im Dreisamstadion. Über die jungen Hungrigen. Über eine Fußballmannschaft, die wißbegierig ist und schuftet und Spaß hat. Vor allem aber: die noch gänzlich verschont ist von den Deformationen des Erfolgs.

„Und dieses Wetter heute“, sagt Finke und lehnt sich genüßlich zurück. Nur der Rasenmäher, der aus dem Stadion herüberlärmt, stört von ferne die gelassene Ruhe auf der Terrasse der Vereinsgaststätte „Dreisamblick“. Der letzte Schnitt ist fällig: Zum Zweitligaauftakt am Sonntag kommt der Aufsteiger Energie Cottbus zum Erstligaabsteiger SC Freiburg. Dann soll auch der Rasen in Form sein.

Die Mannschaft sowieso. Sie hat den großen Schnitt schon ein paar Wochen hinter sich. Von 18 Spielern hat sich der Verein getrennt. Aus dem engeren Stamm geblieben sind nur fünf Akteure. Gekommen sind dafür 14 neue. Talentierte Regionalligaspieler zumeist, Jörn Schwinkendorf und Torben Hoffmann, zwei gestandene Zweitligaprofis vom Absteiger VfB Lübeck, der slowenische Nationaltorhüter Bosko Boskovic und nicht zuletzt die Tunesier Zoubaier Baya und Ben Slimane – als Spielgestalter und Torjäger entscheidend daran beteiligt, daß ihr Verband bereits für die Weltmeisterschaft in Frankreich qualifiziert ist.

Dennoch, nach diesem radikalen Umbruch sofort wieder aufsteigen? Ist diese Erwartungshaltung nicht vermessen? „Ach!“ – Finke wischt die Frage weg wie eine lästige Fliege. Hundertmal gehört, hundertmal die Antwort heruntergebetet: Die Ursachen des Niedergangs wurden detailliert analysiert, die Konsequenzen gezogen, die Weichen nach bestem Wissen und Gewissen gestellt, im Rahmen der Möglichkeiten des Vereins die Voraussetzungen für den Erfolg geschaffen, jetzt muß man sehen – und: „In Freiburg kann es keine Erstligagarantie geben.“

Auf den ersten Blick mag das neue Sport-Club-Team wie ein bunt zusammengewürfelter Haufen erscheinen, tatsächlich ist die Zusammenstellung das Ergebnis akribischer Arbeit. Als in der vergangenen Saison schon früh der Abstieg feststand, hat der Verein umgehend das Unternehmen Umbruch gestartet. Markt sondieren, Spieler beobachten, einmal, zweimal, dreimal, mal der Trainer, mal der Co-Trainer, mal der Präsident; wieder durchs Sieb fallen lassen; in die engere Auswahl nehmen; Probetraining, medizinischer Leistungstest – alles unter dem Motto „Zurück in die Zukunft“.

Finke plant die Renaissance seines vielgerühmten „Spiels der kurzen Wege“. Dazu braucht er eine Mannschaft mit hohem läuferischem Potential, ausgeprägtem Spielverständnis und der bedingungslosen Bereitschaft des einzelnen, sich in den Dienst des Kollektivs zu stellen. Vor allem diese Bereitschaft war in den letzten zwei Jahren zunehmend verschütt gegangen.

Jetzt herrscht wieder Sonnenschein. Nicht nur auf der Terrasse des „Dreisamblicks“. Die sechswöchige Vorbereitungszeit hat Freiburgs Cheftrainer überzeugt. Mit der radikalen Umbruchkur sind Mißgunst, Neid und Eifersüchteleien, die Zivilisationskrankheiten des modernen Bundesligafußballs, erfolgreich bekämpt worden. Selbst Vokabeln wie „kreativer Spaßfußball“ gehen Finke mittlerweile wieder über die Lippen.

Noch jedenfalls. 14.500 Dauerkarten sind in Freiburg verkauft worden. Die Erwartungen sind enorm. Bleibt der Erfolg aus, wird der Druck auf den Trainer wieder schnell zunehmen.

Aber weniger das scheint Finke (49) zu beschäftigen. Er ist der, der geblieben ist. Anders als seine junge Mannschaft trägt er noch am Ballast der Vergangenheit. Die großen Illusionen sind dahin, der Trainer läuft im Hamsterrad. „Wenn wir tatsächlich den Erfolg haben, den wir wollen“, sagt Finke, „dann wird in zwei Jahren wahrscheinlich alles, was wir bis dahin aufgebaut haben, wieder langsam kaputtgehen.“ Uli Fuchs

Wieder einmal mußte Präsident Heinz Weisener rettend eingreifen. Da hatte der FC St. Pauli endlich einmal einen Wunderspieler zum Probetraining eingeladen – ein technisch versierter Brasilianer den die Fans schon nach seinem ersten Testspiel gegen Schalke 04 ins Herz geschlossen hatten –, als der per Fallrückzieher das entscheidende 1:0 vorbereitete. Wann hatte man das zuletzt gesehen am Millerntor? Nach Leonardo Manzi und Luiz Firmino Emerson war der tatsächlich ein echter Lichtblick. Auch Manager Helmut Schulte war klar: „Wir können uns nicht leisten, den nicht zu verpflichten.“ Zu beliebt war er schon durch einen einzigen Auftritt geworden.

Und dann bringt es dieser Daniel da Costa Franco fertig, übers Wochenende nach Stuttgart zu fahren, um beim VfB probeweise vorzukicken. Ein Fall für Weisener. Er rief seinen Stuttgarter Kollegen Gerhard Mayer-Vorfelder an und machte dem klar, daß sich dieses unfaire Verhalten gegenüber kleineren Vereinen nicht zieme. Zumal der baden-württembergische Finanzminister nebenbei auch noch Ligaausschußvorsitzender beim DFB ist und solches Verhalten eigentlich kraft seines Amtes tadeln muß. Und tatsächlich lenkte Mayer-Vorfelder ein.

Ohne „Papa Heinz“, das allmächtige Vereinsoberhaupt, läuft beim FC St. Pauli eben immer noch nichts. 69 ist er mittlerweile. Doch trotz mehrfacher Ankündigung, kürzer treten zu wollen, hält er die Fäden in der Hand. Er entschuldet den Verein aus seiner Privatschatulle. Er will auf dem Heiligengeistfeld statt des maroden Wilhelm-Koch-Stadions den „Super- Papa-Sportdome“ bauen. Er sorgt bei den Verhandlungen dafür, daß gerade Spieler wie Carsten Pröpper oder Libero Dirk Dammann gehalten wurden, die in der letzten Saison zwar als Leistungsträger apostrophiert wurden, aber eben keine Leistung brachten. Weisener und Manager Schulte glauben eben noch an den Mythos vom anderen Verein. Und am liebsten haben sie Leute um sich, die sie damit verbinden.

Die richtigen Leute im richtigen Moment zu holen war allerdings nie eine besondere Stärke des Gespanns. Zwar stand der Abstieg früh fest, aber anstatt rechtzeitig zu planen, ließ man resigniert die Flügel hängen, feuerte irgendwann Uli Maslo und bestimmte eher lustlos dessen Co-Trainer Klaus- Peter Nemet zum Nachfolger.

Das Saisonziel „sofortiger Wiederaufstieg“ war dann schnell ausgemacht. Erst sehr spät allerdings besann man sich darauf, einen Übungsleiter zu suchen, mit dem dieses Ziel auch erreicht werden könnte. Kandidaten waren die üblichen illustren Namen wie Aleks Ristic oder auch Volker Finke, auf dessen Rauswurf in Freiburg insgeheim die Anhängerschaft von St. Pauli hoffte.

Als man dann Eckard Krautzun (56) präsentierte, war die Enttäuschung groß. Zu ähnlich scheint er seinem Vorvorgänger Maslo zu sein. Beide gelten als Weltenbummler in Sachen Fußball, beide sind relativ alt, beide gelten als konservative harte Hunde. Das will dem Teil der Anhänger gar nicht passen, der auch trotzig am selbstgeschaffenen Bild des anderen Fußballvereins festhält.

Nun ist also Krautzun da und will sich mit der Saisonvorgabe nicht anfreunden. „In dieser Saison gibt es keinen Favoriten“, weicht er aus. Seine Aufgabe ist ohnehin schwer genug.

Dank einiger Transfers hat sich immerhin das zwischendurch sehr negative Bild in der Öffentlichkeit etwas gewandelt. Karl Werner von Fortuna Düsseldorf soll die Routine der Abwehr um Torhüter Klaus Thomforde und Dammann erhöhen. Der gefürchtete Risikopaß-Spieler wird in Fankreisen als „Fußballgott“ verehrt und paßt so prächtig ans Millerntor wie der neue alte Bekannte für den Angriff: Marcus Marin, der einst den Klub durch ein Tor im Relegationsspiel aus der Bundesliga schoß.

Die aktuelle Hoffnung für alle angeknacksten St.-Pauli-Seelen aber ist: Daniel da Costa Franco. Noch spricht er zwar kein Wort Deutsch, aber eins hat er schon einmal klargestellt: „Wohin man laufen muß, ist einem Fußballer sowieso klar. Und der Ball spricht sowieso Brasilianisch.“ Papa Heinz wird's mit Wohlgefallen vernommen haben. Eberhard Spohd