Das Ende der Geduld

■ DGB-Chef Schulte kündigt harte Tarifrunden an

Wenn es keine „Trendwende“ auf dem Arbeitsmarkt gebe, müßten die Gewerkschaften über eine neue Lohnpolitik nachdenken – so der Vorsitzende des DGB, Dieter Schulte, gestern zum Handelsblatt. Die Äußerung wirft ein grelles Licht auf das Dilemma der Gewerkschaftsführung. Sie hat tatsächlich Vorleistungen in großem Unfang erbracht, von den Öffnungsklauseln in Tarifverträgen bis hin zu „moderaten“ Lohnabschlüssen, was selbst der BDA-Chef Hundt anerkennt. Die Gegenleistung der Unternehmerseite, mehr Arbeitsplätze, blieb aus. Konzessionen sind nur durch Druck zu erreichen – herrschaftsfreier, vernünftiger Dialog reicht gegenüber der Unternehmerseite nicht aus. Man darf getrost unterstellen, daß weder Schulte noch Zwickel diese elementare Erfahrungsweisheit entfallen war, als sie ihre diversen Angebote in Sachen Beschäftigungspakt unterbreiteten. Von daher scheint es nur logisch, jetzt mit einer härteren Gangart zu drohen. Logisch, aber problematisch.

Denn die bisherige Zurückhaltung der Gewerkschaften war eine Politik zugunsten der Arbeitslosen. Damit soll nun Schluß sein: Die Gewerkschaftsmitglieder, die „Basis“, tragen die Vorleistungen nicht mehr mit. Ein erneuter Rückgang der Mitgliederzahlen in mehreren Gewerkschaften scheint Schultes Vorstoß anzutreiben.

Der Rekurs auf eine schärfere Lohnpolitik mag der kleinste gemeinsame Nenner sein, auf den sich die organisierte Arbeiterschaft einigt. Aber dieser Minimalkonsens ist fragwürdig. Denn die Gewerkschaften agierten mit ihrer Politik – Lohnverzicht für Arbeit – in der Öffentlichkeit mit Erfolg als Verteidigerin des Gemeinwohls. Folgen sie nun Schulte, werden sie auf die Position partikularer Interressenwahrnehmung zurückgeworfen. Und es ist die Öffentlichkeit, die „mediale Vermittlung“, die heute ebenso wichtig ist wie der unmittelbare Kampf. Dabei liegt die Alternative auf der Hand und wurde in den letzten Gewerkschaftlichen Monatsheften von Klaus Zwickel thematisiert: der Kampf um die 32- Stunden-Woche, differenzierter Lohnausgleich, Lohnzuschüsse der Bundesanstalt für Arbeit. Wäre es nicht wirksamer (und im Interesse der Arbeitslosen klüger!), auf diesem, zugegeben, steinigen Weg zu bleiben? Christian Semler

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