Out wie Jutebeutel

■ Richard Golz ist nicht mehr die Nummer eins im HSV-Tor. Hans-Jörg Butt hat das Vertrauen von Trainer Pagelsdorf. Deshalb will Golz weg

Neununddreißig Spielminuten nach dem Anpfiff hatte Richard Golz seinen ersten Ballkontakt. Für einen Fußballtorwart ist das sehr ungewöhnlich, normalerweise bekommt er viel eher etwas zu tun. Aber das UI-Cup-Halbfinale vom vergangenen Sonnabend gegen Bastia war auch kein normales Spiel – vor allem nicht für Keeper Golz.

Anstelle des 29jährigen stand Neuzugang Hans-Jörg Butt gegen die Korsen im HSV-Tor, Golz saß nur auf der Bank. Kein Wunder also, daß der längste Bundesliga-Kicker lange warten mußte, bis er endlich das Spielgerät berühren durfte. Ein Abpraller war ins Seitenaus geflogen, Golz parierte ihn sicher.

Ansonsten hat Richie immer weniger im Griff, seit der neue Trainer, Frank Pagelsdorf, beim HSV zupackt. Noch vor dem ersten Training ordentlich einen vor den Latz bekommen („Golz mangelt es an Selbstkritik“), dann die Kapitänsbinde losgeworden („Golz ist keine Führungspersönlichkeit“) und nun auch den Arbeitsplatz im Kasten verloren. „Butt hat Vorteile bei der Strafraumbeherrschung und im fußballerischen Bereich“, erklärte Pagelsdorf nach dem 0:1 gegen Bastia. Seine jüngste Maßnahme soll nicht nur für die nächsten Begegnungen gelten – am Mittwoch beim Rückspiel, Sonntag beim Bundesligaauftakt gegen Gladbach –, sondern „die nächsten Monate“.

Für den Ex-Stammkeeper Golz ist das keine Perspektive, mit der er sich anfreunden mag, zumal mit Sascha Ilic noch ein weiterer Konkurrent geholt worden war. „Ich werde den Club bitten, mir die sofortige Freigabe zu erteilen“, erklärte Golz gestern gegenüber NDR 90,3. Bereits vor dem Spiel hatte der dienstälteste Hamburger, seit 1985 beim HSV und Vertrag bis 2000, im Abendblatt von einer möglichen Trennung gesprochen: „Wenn ich nicht die Nummer eins werde.“

So ohne weiteres will Pagelsdorf dem Golzschen Ansinnen jedoch nicht nachkommen. „Ein Wechsel ist momentan kein Thema“, versuchte Pagel erst abzuwiegeln, um dann doch zu signalisieren, daß er bereit wäre, zukünftig auf Golz zu verzichten – allerdings nur „unter bestimmten Bedingungen“. Die Ablösesume muß stimmen, dann kann der in Ungnade gefallene Keeper gehen.

Doch nicht nur bei seinem sportlichen Leiter hatte der Profi mit der ausgeprägten Abneigung gegen „Ja-gut-ich-sag-mal“-Statements zuletzt schlechte Karten. Einem Teil des HSV-Anhangs kommt die erzwungene Abdankung von König Richard ganz recht. Diese Fans machen ganz besonders den Re-genten ohne Reich für das desolate Abschneiden ihres HSV in der vergangenen Serie verantwortlich.

Das Plakat „Golz raus“, das selbst bei Freundschaftsspielen in der Pampa zu sehen gewesen war, hing am Sonnabend zwar nicht im Stadion, dafür ein, zwei Solidaritätsbanner. Aber lautstarke, demonstrative „Golz“-Rufe? Schweigen. Statt dessen kursierte ein Witz. Frage: „Was ist der unbeliebteste Fan-Artikel?“Antwort: „Ein Jutebeutel mit Golz-Autogramm.“Lachen kann Richard Golz darüber nicht. Clemens Gerlach Kommentar Seite 17