Musikalisch erzitternde Findlinge

■ Zwanzig Skulpturen enthüllen „Haut und Herz des Steins“im Grün des Botanischen Gartens

Findlinge und Kartoffeln, beides nicht unpassend für einen Botanischen Garten. Doch in Klein Flottbek geht es nicht um Gartengestaltung, sondern um Kunst. Knapp 30 Steinobjekte zweier Künstler aus Holstein stehen im Grün und am Wasser, kleinere Arbeiten liegen im Rollgewächshaus, dem im Sommer nutzlosen Schutz des Ölbaums.

Mit der Ausstellung Haut und Herz des Steins zeigt die engagierte „Gesellschaft der Freunde des Botanischen Gartens“zum zweiten Mal Skulpturen auf dem Gelände. Die 20 unterschiedlich gesprengten und teilweise wieder zusammengefügten Findlinge sind Arbeiten des gebürtigen Stralsunders Frank Raendchen. Sein Material sind die weitgereisten Findlinge aus der Umgebung seiner Wahlheimat Eutin. Jeder Kopfstein ist ein spezieller Einzelkörper. Um dessen innere Struktur zu erforschen, hat Frank Raendchen einen Findling mit einen Magnetresonanztomographen untersuchen lassen. Obwohl das medizinische Gerät nur lebende Materie abbilden kann, erbringt das Verfahren überraschenderweise auch bei diesem mineralischen Material Bilder, da der scheinbar feste Findling feinste Risse und Hohlräume hat, in die Wasser und Bakterien eindringen.

Dies ist das Geheimnis, das die von Raendchen bevorzugte geometrisch exakte Teilung der Steine so schwierig macht, daß traditionelle Steinmetze sie für unmöglich halten. Hat er die asymmetrisch gewichtete Mitte des Findlings ausgemacht, keilt, bohrt, sprengt und sägt er sich zum Kern des Steines und öffnet ihn dem Licht.

Doch nicht immer kann der Künstler gleich einen tonnenschweren Stein zerteilen: Seine Entwürfe schneidet er in Kartoffeln. Auch im Botanischen Garten sind einige Steine mit diesen Knollen kombiniert, jedenfalls solange die Kinder sie nicht fortnehmen.

„Sich hineinbegeben, das ist die Technik des Sehens“, sagt der Tscheche Jan Koblasa, der seit 1968 in Kiel Bildhauerei lehrt. Das paßt gut zur Suche von Raendchen nach dem Inneren des Steins, aber auch Uwe Gripp, der andere Künstler dieser Ausstellung wurde an der Kieler Muthesius-Hochschule durch den Prager Bildhauer geprägt. Er bearbeit edle Steine aus dem Steinbruch zu reduzierten Formen an der Grenze der Gegenständlichkeit. Ob freistehende Stele, dezentes Bodenstück oder Wandobjekt, ob Konus, Trapezoid oder Lanzettform: Diese Raumzeichen spielen nur entfernt mit einem Verweis auf Gegenständlichkeit. Der über zwei Meter lange, bräunliche Sandsteinblock mit den gerundeten Ecken etwa könnte ein umgekehrtes Boot sein oder einen „guten Schweinetrog abgeben“, wie ein Holsteiner Bauer prosaisch bemerkte.

Glatter als die roh gesprengten Findlinge von Frank Raendchen, wirken Uwe Gripps Objekte auf den ersten Blick sanfter. Sein umformender Zugriff auf den Stein ist jedoch viel weitgehender. In immer stärkerer Reduktion bearbeitet er die Oberfläche der Steine in feinsten, millimeterdifferenten Wellen, bis nicht mehr der Stein, sondern das Licht selbst das Muster zu erzeugen scheint, und die sublime, mal regelmäßige, mal synkopisch modulierte Oberfläche geradezu musikalische Konnotationen gibt.

Hajo Schiff

Botanischer Garten, Klein Flottbek, bis 15. Oktober